An dieser Stelle sei
nochmals bemerkt, dass jede Ethik sich immer an Individuen richten
muss. Jonas würde das natürlich zugeben. In dem ‚Prinzip
Verantwortung’ ging es ihm um den Beweis
seines Prinzips. Das Problem, wie sich ein Individuum zu dem 'Prinzip
Verantwortung' verhält, wird uns später noch beschäftigen2.
Doch auch wenn als Grundlage der neuen Zusatzethik die überlieferten
Prinzipien ausscheiden müssen, bleibt die Frage offen, ob die
Heuristik der Furcht ein zuverlässiger Leitfaden für uns ist.
Es könnte
so sein, dass die Reflexion über die neuartigen Phänomene uns keine
neuen Prinzipien verschafft, sondern uns endgültig um jede
Orientierung hilft. Wenn die Furcht gleichzeitig eine Notwendigkeit
ihres Objekts annehmen muss (und das ist eben die Neuartigkeit der
Lage), kann sie leicht in Fatalismus verfallen, und jede Gegenkraft
der Tradition verliert dann ihre Autorität. Die Furcht darf darum
nicht total werden, und um das zu verhindern bedarf es eines
Prinzips, das eben durch diese Furcht gefunden werden muss, jedoch
mit andern Mitteln begründet, denn nicht die Furcht, sondern das
Prinzip muss auf die Ethik der kollektiven Praxis übertragen werden.
Die von Jonas unterstellte – und von uns mit hermeneutischen
Vorzeichen nachvollzogene – Eigenständigkeit der Technologie und
somit der von ihr definierten Praxis nötigt ihn zu einer Begründung
die über die Praxis hinaus reicht. Wenn das schicksalhafte Geschehen
der Technologie die altehrwürdigen Regeln der Praxis, bis hin zu dem
Bild des Menschen, überholen kann, reicht auch eine grundsätzliche
Reflexion über die Praxis nicht mehr aus, zuverlässige Prinzipien
für sie zu definieren. Der endgültig entfesselte Prometheus hat
seine Eigengesetzlichkeit – ihm ist aber an den Menschen nichts
gelegen. Wir können ihn in der Theorie nur bezwingen, so mag Jonas
gedacht haben, indem wir zurückgehen auf das, was uns alle zugrunde
liegt, nämlich auf das Sein. Das neuartige Prinzip bei Jonas kann
folglich nicht anders als ontologisch begründet werden. Wenn die
Technologie unser Dasein gefährden kann, muss im Gegenzug aus dem
Sein selbst eine Pflicht abgeleitet werden, es so weit nicht kommen
zu lassen. Ich habe diese Absicht von Jonas so verstanden, dass die
gesuchte Seinsdeutung immer schon in einer Selbstdeutung eingebettet
ist. Nur daraus können Rechtfertigungsgründe, und folglich auch
Gebote abgeleitet werden: die Sanktion ist das Fehlschlagen der
Selbstdeutung, oder mindestens der Verlust ihres rationalen
Charakters. Die Rolle der Philosophie ist es, eine rationale
Selbstdeutung vorzuschlagen, oder kulturkritisch zu zeigen, dass die
geläufige Selbstdeutung in ihren Konsequenzen nicht rational ist.
Jonas’ neues Prinzip
einer Verantwortung gegenüber der Menschheit als Ganzes könnte
sich als sinnvoll erweisen, nämlich wenn es das Selbstverständnis
der Individualethik erweitert um jenes Stück, das nötig ist um in
der neuartigen Realität angemessen ethisch argumentieren zu können.
Die Figur des
ontologischen Beweises könnte
sich als sinnvoll erweisen, wenn gezeigt wird, dass sie zu einer
rationalen Selbstdeutung führt, die uns gegen technologischen Hybris
schützt.
1Kant,
Kritik der praktischen Vernunft, §7, A54.
2Siehe
Teil III, wo Jonas' ontologischer Beweis problematisiert wird, und
IV, wo ich versuche, die Ethik aus Jonas' Philosophie der Biologie
zu entwickeln.
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