1.1.3 Der Mensch als Objekt moderner Technik


Noch eine weitere Neuartigkeit muss hier angedeutet werden. In der Biotechnologie wird der Mensch erstmals selbst zum Gegenstand der Technik. Im Falle der positiven Eugenik kann der Mensch, also das Subjekt der Technologie, sogar „direktes Objekt seiner eigenen Baukunst“ sein (TME, 164). Hier ist die formale Entwicklung auf Material gestoßen, das ihre eigenen Voraussetzungen erschüttert. Das Subjekt der Technologie selbst verflüssigt. Jonas ahnte schon, was jetzt Wirklichkeit ist, nämlich dass wir, wenn wir ‚den Text’ des menschlichen Genoms kennen, uns „daran machen können, den Text umzuschreiben“ (TME, 39). Es fehlt uns aber die Anleitung dafür. Wir haben kein ‚Leitbild’1. Abgesehen von den hochkomplizierten technischen Voraussetzungen, wurde dies vorbereitet durch die ‚metaphysische Neutralisierung des Menschen’ (ebd.): „die Biotechnologie hat uns eines gültigen Menschenbildes beraubt, da alles indifferent aus Zufall und Notwendigkeit entstand.“ (ebd)2. Eine Besinnung auf das Bild des Menschen wird also um so dringlicher durch diese Revolution, sie war es wohlgemerkt jedoch schon seit der Verselbständigung der Technologie überhaupt. Hier sei schon vorweggenommen, dass für Jonas eine Ethik die diesen Entwicklungen gerecht werden soll3, nicht formal bleiben kann, sondern ein gültiges, materiales Bild des Menschen4 enthalten soll.
Die Praxis ist hier also auf unüberbietbare Weise herausgefordert. Die Möglichkeit, dass sie, über die Technologie, ihre eigenen Subjekte entwerfen könnte, ist unerhört. Die Neuartigkeit dieses Tatbestandes muss kaum noch nachgewiesen werden. Auch wenn wir ‚die Natur’ des Menschen theoretisch ausweiten und dadurch geringere gen-technische Eingriffe so konzipieren, dass sie diese nicht verändern5, handelt es sich hier sicherlich um eine Neuartigkeit. Die Fragen nach dem Nutzen von positiver Eugenik die sich – schon vor-ethisch – stellen, unterscheiden sich qualitativ von bisherigen Nutzenfragen, da auch das ‚für wen’ des Nutzens machbar geworden ist.
Hier ist nicht der Ort, uns mit der aktuellen Debatte über die Biotechnologie auseinander zu setzen6. Es ist hinreichend klar geworden, wie auch diese Technologie, und schon ihre bloße Möglichkeit, die Praxis auf neuartige Weise beansprucht.

Die absolute Neuartigkeit der modernen Technologie ist also ihre (denk- oder deutungs-) notwendige Eigenständigkeit als ein Prozess, der sich selbst immer neue Grenzen und Zwecke setzt und setzen muss um diese immer wieder zu durchbrechen und zu überbieten. Dabei ist sie durch die Kommunikationstechnologie und den Wettbewerbsdruck allgegenwärtig, und generieren Zwecke und Mittel sich gegenseitig.
Die hier festgestellten Merkmale der Technologie verweisen oft schon auf die Praxis. Doch der Nachweis, dass sie nicht mit er Praxis identisch ist, ist wichtig. In der Analyse der Technik als Prozess ging es um das Merkmal der Selbständigkeit, der Unabhängigkeit von ihren Trägern; eine Techniksoziologie muss immer auch die relative Autonomie der Praxis analysieren. So schreibt der Technikphilosoph Günter Ropohl:
Technik kann als Objektivation sozialer Strukturen und Prozesse verstanden werden; und Gesellschaft kann als Konstrukt aus technischer Substanz aufgefaßt werden. Doch auch wenn Technik und Gesellschaft zum soziotechnischen System verschmelzen, bleiben die technischen und die sozialen Subsysteme mindestens in analytischer Perspektive unterscheidbar. Vergesellschaftung der Technik und Technisierung der Gesellschaft sind Teilansichten soziotechnischer Theoriebildung, für die nicht bedenkenlos Universalansprüche erhoben werden sollten.7
Wenn wir diese analytische Unterscheidung akzeptieren, lässt sich das Ergebnis dieses Paragraphen folgendermaßen formulieren: Die Neuartigkeit der Technologie, die sich in der Praxis zeigt, ist die Art und Weise worauf sie die Praxis prädisponiert.


1Hier ist die Präformierung der Praxis schwer von ethischen Überlegungen zu trennen. Jonas verstand die Analyse des Fortschrittsgedankens nicht als Bewertung; das Fehlen eines Leitbildes ist aber schon ein Argument für Behutsamkeit in Sachen Biotechnologie.
2Siehe auch J. Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur, S. 73: „Das ethische Neuland besteht in der Verunsicherung der Gattungsidentität.“ Habermas sieht dadurch den Unterschied zwischen Naturschicksal und Sozialisationsschicksal verwischen (S. 103), eine Voraussetzung für die Erfahrung von Freiheit. Die positive Eugenik verletzt die menschliche Freiheit zudem dadurch, dass sie Abhängigkeiten zwischen Generationen herstellt, die prinzipiell nicht reversibel sind. Ein Klon kann die von anderen intendierten Eigenschaften nicht retrospektiv ausgleichen. (S. 107). Das Argument von Habermas lautet demnach, dass durch die positive Eugenik den Zukünftigen die Möglichkeit einer symmetrischen Beziehung genommen wird (S. 112). Die unumkehrbare soziale Abhängigkeit eines Klons ist so fremdartig, dass das gattungsethische Selbstverständnis auf dem Spiel steht (S. 112). Wir wissen, dass Jonas dieses Argument nicht bringen kann: aus seiner ontologischen Perspektive betrachtet, ist gerade die assymetrische Beziehung zwischen Menschen, paradigmatisch in der Eltern-Kind-Beziehung, fundamental. Für ihn ist das Fehlen jeglicher Anweisung zum 'Bauplan' des Menschen herzustellen, das einzige Argument. Jedoch wird er Habermas zustimmen wenn dieser schließt „wenn uns zwingende moralische Gründe fehlen, müssen wir uns an den gattungsethischen Wegweiser halten. (S. 121), der asymmetrische Bestimmungsverhältnisse zwischen Generationen verbietet.
3Für Jonas muss die ethische Frage zuerst geklärt sein (S. TME, 201), bevor wir hier weiter schreiten. Es gehört jedoch auch zu moralischer Behutsamkeit, zu überdenken wie wir handeln sollen, wenn sie unversehens schon eintreten. Dann dürfen wir nicht moralisch ratlos da stehen. Wichtig ist, ob dass man sich nicht in einer Scheindebatte müde kämpft, um sein moralisches Bankrott dann von der immerhin ungehemmt voranschreitenden Technologie besiegelt zu sehen. Ich glaube, dergleichen mahnte Sloterdijk in seinem ‚Brief’ Regeln für den Menschenpark, S. 46ff.
4Das Menschenbild kann sich für Jonas nicht selbst begründen auf transzendentalphilosophische oder diskursethische Weise. Die vollständige formale Selbstvergewisserung müsste mit einer Verkennung des Eigenrechts des Materialen erkauft werden – ein unmöglicher Preis.
5Dies scheint nicht ausgeschlossen, wenn ein Beobachter hier fragt „Wie weit könnte man solche Attribute [gemeint sind genetisch veranlagte Körpereigenschaften, KV], wenn überhaupt, verbessern, ohne die Natur des Menschen zu verändern?“ (Nicolas Wade, Das Genom-Projekt und die neue Medizin, S. 7. Siehe auch S. 196-200 über die menschliche Natur.)
6Für eine Übersicht über die bioethische Debatte, siehe Ludger Honnefelder et al., ‚Das genetische Wissen und die Zukunft des Menschen’, Berlin 2003.
7Ropohl, a.a.O, S. 197. Es gibt keine eindeutige Zäsur die den Anfang moderner Technologie festlegt. Sie entwickelt sich aus Errungenschaften der abendländischen Tradition, wie ihre Kritiker auch.

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