Noch eine weitere
Neuartigkeit muss hier angedeutet werden. In der Biotechnologie wird
der Mensch erstmals selbst zum Gegenstand der Technik. Im Falle der
positiven Eugenik kann
der Mensch, also das Subjekt der Technologie, sogar „direktes
Objekt seiner eigenen Baukunst“ sein (TME, 164). Hier ist die
formale Entwicklung auf Material gestoßen, das ihre eigenen
Voraussetzungen erschüttert. Das Subjekt der Technologie selbst
verflüssigt. Jonas ahnte schon, was jetzt Wirklichkeit ist, nämlich
dass wir, wenn wir ‚den Text’ des menschlichen Genoms kennen, uns
„daran machen können, den Text umzuschreiben“ (TME, 39). Es
fehlt uns aber die Anleitung dafür. Wir haben kein ‚Leitbild’1.
Abgesehen von den hochkomplizierten technischen Voraussetzungen,
wurde dies vorbereitet durch die ‚metaphysische Neutralisierung des
Menschen’ (ebd.): „die Biotechnologie hat uns eines gültigen
Menschenbildes beraubt, da alles indifferent aus Zufall und
Notwendigkeit entstand.“ (ebd)2.
Eine Besinnung auf das Bild des Menschen wird also um so dringlicher
durch diese Revolution, sie war es wohlgemerkt jedoch schon seit der
Verselbständigung der Technologie überhaupt. Hier sei schon
vorweggenommen, dass für Jonas eine Ethik die diesen Entwicklungen
gerecht werden soll3,
nicht formal bleiben kann, sondern ein gültiges, materiales Bild des
Menschen4
enthalten soll.
Die Praxis ist hier also
auf unüberbietbare Weise herausgefordert. Die Möglichkeit, dass
sie, über die Technologie, ihre eigenen Subjekte entwerfen könnte,
ist unerhört. Die Neuartigkeit dieses Tatbestandes muss kaum noch
nachgewiesen werden. Auch wenn wir ‚die Natur’ des Menschen
theoretisch ausweiten und dadurch geringere gen-technische Eingriffe
so konzipieren, dass sie diese nicht verändern5,
handelt es sich hier sicherlich um eine Neuartigkeit. Die Fragen nach
dem Nutzen von
positiver Eugenik die sich – schon vor-ethisch – stellen,
unterscheiden sich qualitativ von bisherigen Nutzenfragen, da auch
das ‚für wen’ des Nutzens machbar geworden ist.
Hier ist nicht der Ort,
uns mit der aktuellen Debatte über die Biotechnologie auseinander zu
setzen6.
Es ist hinreichend klar geworden, wie auch diese Technologie, und
schon ihre bloße Möglichkeit, die Praxis auf neuartige Weise
beansprucht.
Die absolute Neuartigkeit
der modernen Technologie ist also ihre (denk- oder deutungs-)
notwendige Eigenständigkeit als ein Prozess, der sich selbst immer
neue Grenzen und Zwecke setzt und setzen muss um diese immer wieder
zu durchbrechen und zu überbieten. Dabei ist sie durch die
Kommunikationstechnologie und den Wettbewerbsdruck allgegenwärtig,
und generieren Zwecke und Mittel sich gegenseitig.
Die hier festgestellten
Merkmale der Technologie verweisen oft schon auf die Praxis. Doch der
Nachweis, dass sie nicht mit er Praxis identisch ist, ist wichtig. In
der Analyse der Technik als Prozess ging es um das Merkmal der
Selbständigkeit, der Unabhängigkeit von ihren Trägern; eine
Techniksoziologie muss immer auch die relative Autonomie der Praxis
analysieren. So schreibt der Technikphilosoph Günter Ropohl:
Technik kann als
Objektivation sozialer Strukturen und Prozesse verstanden werden; und
Gesellschaft kann als Konstrukt aus technischer Substanz aufgefaßt
werden. Doch auch wenn Technik und Gesellschaft zum soziotechnischen
System verschmelzen, bleiben die technischen und die sozialen
Subsysteme mindestens in analytischer Perspektive unterscheidbar.
Vergesellschaftung der Technik und Technisierung der Gesellschaft
sind Teilansichten soziotechnischer Theoriebildung, für die nicht
bedenkenlos Universalansprüche erhoben werden sollten.7
Wenn wir diese analytische
Unterscheidung akzeptieren, lässt sich das Ergebnis dieses
Paragraphen folgendermaßen formulieren: Die Neuartigkeit der
Technologie, die sich in der Praxis zeigt, ist die Art und Weise
worauf sie die Praxis prädisponiert.
1Hier
ist die Präformierung der Praxis schwer von ethischen Überlegungen
zu trennen. Jonas verstand die Analyse des Fortschrittsgedankens
nicht als Bewertung; das Fehlen eines Leitbildes ist aber schon ein
Argument für Behutsamkeit in Sachen Biotechnologie.
2Siehe
auch J. Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur, S. 73: „Das
ethische Neuland besteht in der Verunsicherung der
Gattungsidentität.“ Habermas sieht dadurch den Unterschied
zwischen Naturschicksal und Sozialisationsschicksal verwischen (S.
103), eine Voraussetzung für die Erfahrung von Freiheit. Die
positive Eugenik verletzt die menschliche Freiheit zudem dadurch,
dass sie Abhängigkeiten zwischen Generationen herstellt, die
prinzipiell nicht reversibel sind. Ein Klon kann die von anderen
intendierten Eigenschaften nicht retrospektiv ausgleichen. (S. 107).
Das Argument von Habermas lautet demnach, dass durch die positive
Eugenik den Zukünftigen die Möglichkeit einer symmetrischen
Beziehung genommen wird (S. 112). Die unumkehrbare soziale
Abhängigkeit eines Klons ist so fremdartig, dass das
gattungsethische Selbstverständnis auf dem Spiel steht (S. 112).
Wir wissen, dass Jonas dieses Argument nicht bringen kann: aus
seiner ontologischen Perspektive betrachtet, ist gerade die
assymetrische Beziehung zwischen Menschen, paradigmatisch in der
Eltern-Kind-Beziehung, fundamental. Für ihn ist das Fehlen
jeglicher Anweisung zum 'Bauplan' des Menschen herzustellen, das
einzige Argument. Jedoch wird er Habermas zustimmen wenn dieser
schließt „wenn uns zwingende moralische Gründe fehlen, müssen
wir uns an den gattungsethischen Wegweiser halten. (S. 121), der
asymmetrische Bestimmungsverhältnisse zwischen Generationen
verbietet.
3Für
Jonas muss die ethische Frage zuerst geklärt sein (S. TME, 201),
bevor wir hier weiter schreiten. Es gehört jedoch auch zu
moralischer Behutsamkeit, zu überdenken wie wir handeln sollen,
wenn sie unversehens schon eintreten. Dann dürfen wir nicht
moralisch ratlos da stehen. Wichtig ist, ob dass man sich nicht in
einer Scheindebatte müde kämpft, um sein moralisches Bankrott dann
von der immerhin ungehemmt voranschreitenden Technologie besiegelt
zu sehen. Ich glaube, dergleichen mahnte Sloterdijk in seinem
‚Brief’ Regeln für den Menschenpark, S. 46ff.
4Das
Menschenbild kann sich für Jonas nicht selbst begründen auf
transzendentalphilosophische oder diskursethische Weise. Die
vollständige formale Selbstvergewisserung müsste mit einer
Verkennung des Eigenrechts des Materialen erkauft werden – ein
unmöglicher Preis.
5Dies
scheint nicht ausgeschlossen, wenn ein Beobachter hier fragt
„Wie weit könnte man solche Attribute [gemeint sind genetisch
veranlagte Körpereigenschaften, KV], wenn überhaupt, verbessern,
ohne die Natur des Menschen zu verändern?“ (Nicolas Wade, Das
Genom-Projekt und die neue Medizin, S. 7. Siehe auch S. 196-200 über
die menschliche Natur.)
6Für
eine Übersicht über die bioethische Debatte, siehe Ludger
Honnefelder et al., ‚Das genetische Wissen und die Zukunft des
Menschen’, Berlin 2003.
7Ropohl,
a.a.O, S. 197. Es gibt keine eindeutige Zäsur die den Anfang
moderner Technologie festlegt. Sie entwickelt sich aus
Errungenschaften der abendländischen Tradition, wie ihre Kritiker
auch.
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