Das ethische Werk von Jonas ist in Deutschland seit dem
Erscheinen von PV in 1979 intensiv diskutiert worden2.
Seine Schriften zu einer Philosophie der Biologie
wurden, abgesehen von einigen Dissertationen3,
nicht in diesen Überlegungen miteinbezogen.
Aus der Perspektive der Diskursethik
wurde die Philosophie von Jonas
ausführlich reflektiert (u. A. von Karl-Otto Apel und Dietrich
Böhler4).
Bei genauerem Hinschauen wird aber bald deutlich, dass die
Diskursethik sich nur Jonas’ Absichten anschließen kann, ihm aber
angesichts der philosophischen Begründung
widersprechen muss - also im Kern seiner
Argumentation. Jonas’ ontologische Erörterungen können von der
Diskursethik nur als solipsistische Spekulationen ohne
philosophisches Gewicht ausgelegt werden, und daher werden sie von
den Diskursethikern auch nicht weiter in Betracht gezogen, während
sie für Jonas geradezu die letzte Möglichkeit einer
Begründung darstellen.
Andererseits
gibt es Verteidiger von Jonas' Begründungsmodell, die seine
ontologische Ethik teilen5.
Jonas wird von ihnen werkimmanent gedeutet, und
solche Interpretationen werden seiner philosophischen Intention
durchaus mehr gerecht. Doch wo die Diskursethik Jonas’
Argumentationsweise überhaupt nicht wahrhaben will weil sie ein
eigenes Programm durchzuziehen hat, fehlt es seinen ontologisch
geprägten Verteidigern an Distanz der Betrachtung um Inkonsequenzen
auf die Spur zu kommen.
Ich
halte es darum für fruchtbar, Jonas’ Philosophie und insbesondere
seine Ontologie (die er systematisch aus der Philosophie des
Organischen entwickelt) und die daraus folgenden Konsequenzen für
die Ethik zu untersuchen. Eine solche Untersuchung stellt sich die
einfache Frage “wie verhalten sich Freiheit und
Verantwortung bei Jonas?” Sind seine Schriften zu der Philosophie
der Biologie kompatibel mit der ontologischen Ethik?
Daraus
ergibt sich bereits im Wesentlichen die Struktur meiner Arbeit: sie
wird Jonas' Philosophie des Organischen
untersuchen, seine Methode und
philosophiehistorische Positionierung erörtern, sowie den
resultierenden Freiheitsbegriff darstellen. Danach
soll seine fundamentale Begründung
der Ethik unter die Lupe genommen werden. Lässt sich die dort
entwickelte und angewandte Idee des Menschen mit der Philosophie des
Organischen in Übereinstimmung zu bringen?
Die
grundsätzliche Neuorientierung, die Hans Jonas für eine Begründung
der Ethik gesucht hat, war sehr kontrovers - und
wenige sind Jonas da gefolgt. Ich zeige, dass die Begründungsfigur
von Jonas als ein Zusatz durchaus ihren
Wert hat. Jonas meinte eine neuartige Begründung zu brauchen, weil
die herkömmliche Ethik in praxi
in Anbetracht des
globalen Umweltproblems6
bankrott schien; also
verlangte er nach einer radikal anderen Begründung in
theoreticis.
Diese alternative Begründung ist nicht neu, aber die Prägnanz und
die reale Möglichkeit, dass es zu Extremfällen kommen kann, dass
also die Grenzsituationen die in nahezu jeder theoretischen
Begründung auftreten
müssen, heute als reale Möglichkeiten in den Bereich
technologischer Verfügbarkeit rücken – das
ist neu.
Jonas
schätzt tatsächlich die Möglichkeiten moderner Technik als etwas
wesentlich Neues
ein und benutzt dafür sogar den Begriff 'Offenbarung':
Die jüngste Offenbarung- von keinem Berge Sinai, auch nicht von dem der Bergpredigt und von keinem heiligen Feigenbaum des Buddha- ist der Aufschrei der stummen Dinge selbst und bedeutet, dass wir uns zusammentun müssen, um unsere die Schöpfung überwältigenden Kräfte in die Schranken zu weisen, damit wir nicht gemeinsam zugrunde gehen auf dem Ödland, das einst die Schöpfung war.7
Dieses
Motiv seines späteren Denkens werden wir in Teil I betrachten.
Dieser Teil versteht sich als Hinführung zum Thema dieser
Dissertation, dem eigentlichen philosophischen Denken Jonas'. In Teil
II wird Jonas' teleologische Naturphilosophie eingehend besprochen
und eine Interpretation entwickelt, die anschließend im
dritten Teil bei der Lektüre des 'Prinzip Verantwortung' behilflich
sein soll.
Kann die ontologische Ethik unser Bedürfnis nach Begründung befriedigen, oder müssen wir letztendlich doch auf die Religion zurückgreifen? In Teil IV werden Jonas' spätere religiöse Schriften besprochen. Das Verhältnis von Philosophie und Religion wird besonders deutlich anhand von Jonas' Bemühungen um einen rational verständlichen Mythos. Solche Anstrengungen zeichnen einen Philosophen aus, dem es immer um eine integrale Auslegung der Welt geht, bei Lichte betrachtet also um eine vernünftige Selbstdeutung.
Kann die ontologische Ethik unser Bedürfnis nach Begründung befriedigen, oder müssen wir letztendlich doch auf die Religion zurückgreifen? In Teil IV werden Jonas' spätere religiöse Schriften besprochen. Das Verhältnis von Philosophie und Religion wird besonders deutlich anhand von Jonas' Bemühungen um einen rational verständlichen Mythos. Solche Anstrengungen zeichnen einen Philosophen aus, dem es immer um eine integrale Auslegung der Welt geht, bei Lichte betrachtet also um eine vernünftige Selbstdeutung.
Diese
Selbstdeutung kann als der Leitfaden meiner Jonas-Interpretation
betrachtet werden: Seine frühen Studien zur Gnosis stellen sich der
Herausforderung, das Selbstverständnis in einem radikal
dualistischen Weltbild nachzuvollziehen; Seine Philosophie des
Organischen macht geltend, dass es immer um eine Selbstdeutung als
lebendiges Vernunftwesen
geht; Im Prinzip Verantwortung könnte das Argument so paraphrasiert
werden, dass eine vernünftige Selbstdeutung in einer gefährdeten
Welt nur mit der Anerkennung eines absoluten (also im Sein
begründeten) Gebots zu haben ist; Schließlich demonstriert Jonas in
seinen religionsphilosophischen Schriften eindrucksvoll wie er sogar
in seinem 'Mythos' nach Vernünftigkeit strebt.
Am
Ende dieser Einleitung sollte die Intention unseres Denkers so
deutlich wie möglich dargestellt werden. Und Jonas selbst ist da
unübertroffen; er hat sich bis zuletzt sehr eindrucksvoll geäußert,
und so seinen Interpreten eines reichen Schatzes beschert8.
So lauten seine letzten öffentlichen
Worte:
Die Pflicht der Verantwortung in einer umfassenden Seinsdeutung so vernünftig zu begründen, die Unbedingtheit ihres Imperativs so überzeugend zu machen, wie das Rätsel der Schöpfung es erlaubt.9
1Jonas
Schriften liegen jetzt in einer kritischen Gesamtausgabe vor. Hrsg.
H. Gronke, D. Böhler
2Siehe
Leben, Wissenschaft, Verantwortung, S. 230-232. Das Spektrum umfasst
naturphilosophische Denker wie Robert Spaemann und Reinhard Löw,
Theologen beider Gesinnungen (Katholisch: Karl Lehmann,
Protestantisch: Wolfgang Erich Müller), und Diskurstheoretiker wie
Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas. Für Bibliographien siehe ebd.,
S. 229.
3Bernd
Wille, Ontologie und Ethik bei Jonas; Frank Niggemeier,
Pflicht zur Behutsamkeit?; Sebastian Poliwoda, Versorgung von Sein;
Aus theologischer Sicht; Schieder, Weltabenteuer Gottes.
6Den
heutigen Analysen steht eine unvergleichbar größere Datenmenge zum
Klimawandel zur verfügung als ihren Vorgänger im Umkreis des Club
of Rome in 1970. Siehe James
Hansen.
7”Rassismus
im Lichte der Menschheitsbedrohung” In: Ethik für die Zukunft, Im
Diskurs mit Hans Jonas, S.25.
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