Das
materielle Universum wird beherrscht durch die Archonten, die
Planetengötter. Gemäß der Anzahl damals bekannten Planeten4
gab es sieben Sphären die konzentrisch geschichtet über der Erde
existierten. Jenseits dieser Sphären lag eine achte Zwischensphäre,
und erst darüber wohnt Gott in dem Lichtreich, dem Pleroma. Gershom
Scholem definiert das Pleroma folgendermaßen:
Pleroma
ist „der Ort 'wo Gott wohnt'. Das Pleroma ist eine Welt der
Vollkommenheit und der absoluten Harmonie, die sich aus einer Reihe
von Wesenheiten und göttlichen Emanationen heraus entwickelt, die in
der Geschichte der Gnosis unter den Namen Äonen, 'Ewigkeiten',
oberste Wirklichkeiten, bekannt sind.5
Diese
äußerliche Sphärenordnung, die in jedem gnostischen System
variiert6,
ist der realste Ausdruck des Dualismus zwischen Welt und Gott. Die
Welt wird als das „Gott-Entfremdende, Gegen-Göttliche“(G I, S.
150) verstanden. Dieser Dualismus Gott-Welt wird widerspiegelt in dem
Dualismus Mensch – Welt. Im Grunde geht es laut Jonas um zwei
Seiten des gleichen Dualismus: der ursprüngliche Dualismus zwischen
Gott und der Welt, der am Anfang des gnostischen Mythos steht, und
der, der aus dem existenziellen Zustand der Entfremdung herrührt.
Dass es der gleiche Dualismus ist, meint, dass in dem Menschen ein
Funken Göttlichkeit anzutreffen ist. Überhaupt können die
Dualismen nur so zu einer Narrative (in der Erlösungsmythos s.u.)
vereinigt werden, wenn der zu entferntesten Erhabenheit
heraufgewürdigte Gott zugleich einem inneren Kern im Menschen
entspricht: einer urreligiösen Erfahrung der Gottähnlichkeit. Dass
dieses Gefühl der Erhabenheit imstande ist, die ethischen
Intuitionen zu verstümmeln und so eine Indifferenz in
ethicis
zu veranlassen, wird Jonas später beschäftigen und sei hier nur
vorweggenommen. Einfache dialektische Logik lehrt diese 'paradoxe'
Fusion des äußerst Fremden und äußerst Nahem, wie es allen
mystischen Lehren zu eigen ist. Wenn ich reflektiere über das, was
mir am fernsten ist, muss ich es zumindest als seiend anerkennen, ich
kann ihm aber keine Eigenschaften zuschreiben. So entsteht ein
'reiner' Begriff, der mir zugleich am fernsten und am nächsten ist.
Es kommt darauf an, diese dialektische Bewegung nicht als
geschichtstreibenden Prozess überzubewerten, sondern sie als
'asymptotische' Grenze der Möglichkeit menschlichen Erlebens zu
betrachten. Die Subtilität menschlicher Psychologie, die
Vielschichtigkeit menschlicher Freiheit, die für Jonas Anlass zum
Philosophieren ist, erlaubt nur diese gelockerte Auffassung von der
geschichtlichen Notwendigkeit.
Wo
der angestrengte Dualismus zwischen der Welt und Gott resultiert in
dem gigantischen Sphärenreich mit den vielen Zwischenwesen, so geht
mit der existenziellen Seite des Dualismus die gnostische
Leibfeindlichkeit einher. Der Leib wird von Anfang an, und nicht erst
seit dem Sündenfall, als feindlich betrachtet. Er ist eindeutig ein
Grab. So heißt es in einer wichtigen Quelle: “Warum habt ihr mich
von meinem Orte weg in die Gefangenschaft gebracht und in den
stinkenden Körper geworfen?“7
Die Geworfenheit in den Körper lässt sich mit der Geworfenheit bei
Heidegger assoziieren8,
muss allerdings anders verstanden werden. Der Gnostiker würde die
Geworfenheit nicht zum Wesen
des menschlichen Daseins zählen, denn das ist das unantastbare
Pneuma.
Bemerkenswert
am gnostischen Dualismus ist, dass auch der Geist (ψυχέ)
sich völlig im Bereich des irdischen, also von den finsteren Mächten
Geschaffenen, befindet. Auch die Psyche ist Teil jener Fesseln womit
die Archonten verhindern wollen, dass das Pneuma zur γνωσις
gelangen kann und so Anspruch hat auf Erlösung wenn es beim Tod den
Körper verlässt. Die Psyche ist bestimmt durch das Moralgesetz,
womit die Leiber in das System eingefügt werden:
In
der radikal-gnostischen Konzeption wird der Kosmos als zur Gänze
'eingeklammerter', eigenständiger und auf Gott unbezüglicher
Bereich, gleichsam unangetastet in seinem inneren Bestand und
Kräftesystem, als Ganzes überboten, und dies führt über ihn und
seine Möglichkeiten kein Weg zu Gott (Marcion). Folgerichtig ist
auch das menschliche Weltsein und mit ihm die 'ψυχέ' von
vornherein und radikal verlorenes Gebiet, das keine positiven
Möglichkeiten zu entwicklen vorgibt; auch die ausgezeichneten
Möglichkeiten realisieren, als solche der ψυχέ, nur die
ursprüngliche Weltverhaftung, sind Vollzugsweisen der kosmischen
Verstrickung, deren Instrumente die ψυχέ in jedem Falle, weil
ihrem Wesen nach, ist. Hier wie dort, in der anthropologischen wie in
der kosmologischen Konzeption, wird der 'eingeklammerte' und
überbotene Bereich einfach sich selbst überlassen. (G II, S. 25)
Das
sittliche Verhalten ist dadurch völlig unwichtig9:
In der Tat ist die ethische Indifferenz, die schon Plotin als
ungriechisch beanstandet hat, Jonas' Kritikpunkt an der Gnosis. Die
Gleichgültigkeit allem Irdischen gegenüber kann sich sowohl in
Askese (wie im Manichäismus; siehe G II, S. 35-37) wie im
Libertinismus auswirken (Siehe G I, S. 233ff)10.
Diese 'ethischen' Lehren sind keine Verwirklichungen des griechischen
αρετή-Begriffs, sondern eine Ethisierung der
Entweltlichungstendenz wie sie seit der frühesten hermetischen
Gnosis aufgetreten ist (G II, S. 26ff). Anders ausgedrückt: Die
Menschheit trägt keinerlei Verantwortung, sie ist radikal entlastet.
Warum
musste die Gnosis gerade so trennen? Warum konnte nicht mehr
zumindest bei Teilen des Moralgesetzes einen göttlichen Ursprung
erkannt werden und dieses Gesetz so in den Bereich des Pneuma hinüber
gerettet werden? Nicht, weil die Befolgung des Moralgesetzes
Schlimmes bewirken würde, wurde ihm kein göttlicher Ursprung
zugestanden, sondern umgekehrt, von der Unmöglichkeit in der
widergöttlichen Welt Gutes zu tun schloss man auf die
Widergöttlichkeit des Moralgesetzes. Es konnte als solches nur die
Psyche ansprechen, niemals das Pneuma. Die fest verankerten
Vorstellung des Bösen in der Welt musste die Trennlinie so ziehen,
dass der ganze Bereich des Handeln im Diesseits liegt. Die Frage von
Tertullian, unde
malum et quare
war schon definitiv beantwortet im Mythos vom Demiurgen; darum war
die Frage unde
bonum et quare
im Diesseits illegitim. Wenn das Phänomen des Bösen so verständlich
und allgegenwärtig ist wie in der Gnosis, wird unverständlich warum
wir das Gute um des Guten Willen tun sollten.
Die
gnostische Daseinshaltung mag hier zusammenfassend anhand eines
gnostischen Gedichtes illustriert sein:
Ein
Armer bin ich, gekommen aus der Frucht [dem Pleroma, KV],
ein Entfernter, der von weit hier ist.
Ein Armer bin ich, dem das Große Leben antwortete,
ein Entfernter, den die Uthras [der Bote aus der Lichtwelt, KV] des Lichts entfernten.
ein Entfernter, der von weit hier ist.
Ein Armer bin ich, dem das Große Leben antwortete,
ein Entfernter, den die Uthras [der Bote aus der Lichtwelt, KV] des Lichts entfernten.
Sie
brachten mich aus dem Wohnort der Guten,
ach, im Wohnort der Bösen gaben sie mir Platz.
Ach, sie gaben mir Platz im Aufenthaltsort,
der ganz voller Bosheit ist.
ach, im Wohnort der Bösen gaben sie mir Platz.
Ach, sie gaben mir Platz im Aufenthaltsort,
der ganz voller Bosheit ist.
[...]
Den
Ruf der Sieben [Archonten, Planetengötter, KV] höre ich,
die da untereinander wispern und sprechen:
'Woher ist dieser fremde Mann,
dessen Rede nicht der unseren
Rede gleich ist?'
Ich hörte nicht auf ihre Rede,
da wurden sie voller schlimmer Wut auf mich.
die da untereinander wispern und sprechen:
'Woher ist dieser fremde Mann,
dessen Rede nicht der unseren
Rede gleich ist?'
Ich hörte nicht auf ihre Rede,
da wurden sie voller schlimmer Wut auf mich.
[...]
Aber
ich, meine Kinder und meine Geschlechter,
ich werde aufsteigen und den Ort des Lichtes schaun,
Den Ort, dessen Sonnen nicht untergehn
und dessen Lampen nicht finster werden,
Jenen Ort, jene Stätte,
zu der eure Seelen gerufen und geladen sind,
Und auch die Seelen unserer Brüder, der Guten,
und auch jene unserer gläubigen Schwestern.11
ich werde aufsteigen und den Ort des Lichtes schaun,
Den Ort, dessen Sonnen nicht untergehn
und dessen Lampen nicht finster werden,
Jenen Ort, jene Stätte,
zu der eure Seelen gerufen und geladen sind,
Und auch die Seelen unserer Brüder, der Guten,
und auch jene unserer gläubigen Schwestern.11
1G
II, S. 332. Vgl. Kurt Rudolph, Die Gnosis,
S. 67-74.
2In
den radikalsten Dualismen kommt es zwangsläufig zu einer
Unterscheidung zwischen dem Gott worüber wir aussagen machen müssen
um nicht ganz in Schweigen zu verfallen, und der Gottheit die sich
jedweder Aussagen entziehen muss. Diejenige Attribute, die nicht
verstanden werden können wenn Gott als absolut Fremder, mitunter
als Nicht-Seiender verstanden wird, werden mythologisch eingekleidet
und verstreut unter den Mittelwesen. Siehe auch unten den kurzen
Exkurs über die deutsche Mystik.
3Ob
alle Menschen einen solchen
Funken in sich tragen oder nur der s.g. pneumatikos sei
dahingestellt. In diesem Zusammenhang ist die soziologische
(Webersche) Deutung der Gnosis interessant, die sie zurückführen
will auf elitäre Herrschaftstrukturen.
4Und
auch jetzt bekannt sind seit der Entscheidung am 24. August 2006,
Pluto nicht mehr zu den Planeten zu rechnen.
5G.
Scholem, Ursprünge und Anfänge der Kabbala. Berlin, New York 2001,
S. 60. Der Jude Scholem war eng mit Jonas befreundet. Für die
biographischen Hintergründe siehe Christian Wiese, Hans
Jonas. 'Zusammen Philosoph und Jude'. Frankfurt/Main
2003, sowie Jonas' Erinnerungen,
Frankfurt/Main 2003.
6Siehe
Hörman, Die Gnosis, 1994, S. 341ff. für bildliche
Darstellungen der unterschiedlichen Systeme.
7Ginza.
Der Schatz oder das Große Buch der Mandäer, S. 388. Vgl. im
Thomas-Evangelium (Text aus dem Nag Hammadi Fund) Nr. 87 „Es
sprach Jesus so: Elend ist der Leib, der an einem Leibe hängt, und
elend ist die Seele, die an diesen beiden hängt.“ Vgl. Rechter
Ginza III: „Sie stecken ihn in Schmutz / und kleiden ihn in
Fleischesschimmer. / Sie stecken ihn in Schmutz / und bekleiden ihn
mit einem nichtigen Gewand.“ Zitiert nach Rudoph, Die Gnosis,
S. 129.
8Vgl.
Sein und Zeit, S. 38ff.
9Jonas
beschreibt die 'soteriologische Brüderethik, die von der
diesseitigen Gesellschafsethik der Antike weltenweit absteht.' (G I,
170f): „Nicht mehr wie dort positive Gestaltung des weltlichen
Miteinanderseins, das durch die gemeinsamen innerweltlichen
Interessen vermittelt wird, und als letzter Sinn dieser Gestaltung
die Eingliederung des Menschen in den Kosmos, sondern, unter
Überspringung der ganzen diesseitigen Sphäre und ihrer
Individuation, einzig die Förderung der Erlösung im Anderen, d. h.
Seiner Entweltlichung, die Jedem zum vehiculum
der eigenen wird, ist das Ziel dieser Ethik; ihr Subjekt nicht das
konkrete Individuum, sondern nur noch sein unpersönlicher,
nichtweltlicher Kern, der , der in allen identisch ist;
und die Basis, die dieses Miteinander stiftet, worin seine
konsitutive Begegnung stattfindet – gemeinsame Einsamkeit in der
zur Fremde gewordenen Welt.“(ebd.)
10Vgl.
Nietzsche: „Wir kennen alle den Rausch, als Musik, als blinde sich
selber blendende Schwärmerei und Anbetung vor einzelnen Menschen
und Ereignissen [...] Es giebt auch eine gewissen excentrisch
werdende Bescheidenheit, welche das Gefühl der Leere selber wieder
wollüstig empfinden läßt: ja einen Genus an der ewigen Leere
aller Dinge, eine Mystik des Glaubens an das Nichts und ein
Sich-Opfern für diesen Glauben.“ (KSA 11,25[13]).
11Ein
Fremdenlied. Aus: „Mandäische Liturgien“. Zitiert nach Hörmann
(Hg), S. 88-90. Vgl. Ginza XV 20: „Du warest nicht von hier, und
deine Wurzel war nicht von der Welt. Das Haus, in dem du wohntest,
dieses Haus hat nicht das Leben gebauet ... Du, verehre und preise
den Ort, aus dem du gekommen bist.“
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