tag:blogger.com,1999:blog-9387251098941016332023-06-20T21:53:42.852-07:00Hans JonasFreiheit und Verantwortung bei Hans JonasKamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.comBlogger19125tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-67600884940874795842012-12-11T23:27:00.000-08:002012-12-11T23:27:24.234-08:00Die Dissertation steht onlineWerte Leser,<br />
Die gesamte Dissertation steht ab jetzt online zur Verfügung in PDF-Format.<br />
<br />
<div style="text-align: center;">
<a href="http://creativechoice.org/doc/HansJonas.pdf"><span style="font-family: Helvetica Neue, Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: large;">[Freiheit und Verantwortung bei Hans Jonas] </span></a></div>
<br />
Unter diesem Link können Sie das Dokument herunterladen. Ich verlange keinerlei Gegenleistung, und Sie dürfen sämtliche Texte ohne meine Erlaubnis ergänzen, anpassen, verbreiten und sonstwie verwenden.Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-63682217471763439142012-11-21T07:14:00.001-08:002012-11-21T07:14:11.384-08:002.4.1 Der Dualismus in der Gnosis<span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">Die
Radikalität des gnostischen Dualismus lässt sich illustrieren
anhand der mythologischen Beschreibung der Sphären und deren
Entstehung wie sie sich – mit Variationen bei den einzelnen
Strömungen – aus den Quellen ergibt<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a>.
Die Welt wurde nicht direkt von Gott geschaffen, sondern von
abtrünnigen finsteren Mächten, meistens dem Demiurgen (der nicht zu
verwirren ist mit dem Demiurgen aus Platons Timaeos). Am Anfang war
nicht das autonome Wort, sondern ein Missgeschick, eine Drama des
Wissensverlustes, worin sich die 'Gottheit'<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a>
aufspaltete und woraus die finsteren Mächte hervorgingen, die dann
die Welt schufen aus Eifersucht um die Menschen – die ja einen
Funken göttlichen Pneumas in sich tragen<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a>
– darin einzukerkern. Die Welt wurde also aus einem </span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE"><i>Mangel</i></span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">
an Wissen geschaffen.</span></span></span><br />
<div align="LEFT">
<span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">Das
materielle Universum wird beherrscht durch die Archonten, die
Planetengötter. Gemäß der Anzahl damals bekannten Planeten<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4sym" name="sdfootnote4anc"><sup>4</sup></a>
gab es sieben Sphären die konzentrisch geschichtet über der Erde
existierten. Jenseits dieser Sphären lag eine achte Zwischensphäre,
und erst darüber wohnt Gott in dem Lichtreich, dem Pleroma. Gershom
Scholem definiert das Pleroma folgendermaßen:</span></span></span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><span lang="de-DE">Pleroma
ist „der Ort 'wo Gott wohnt'. Das Pleroma ist eine Welt der
Vollkommenheit und der absoluten Harmonie, die sich aus einer Reihe
von Wesenheiten und göttlichen Emanationen heraus entwickelt, die in
der Geschichte der Gnosis unter den Namen Äonen, 'Ewigkeiten',
oberste Wirklichkeiten, bekannt sind.<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5sym" name="sdfootnote5anc"><sup>5</sup></a></span></span></span></div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">Diese
äußerliche Sphärenordnung, die in jedem gnostischen System
variiert<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote6sym" name="sdfootnote6anc"><sup>6</sup></a>,
ist der realste Ausdruck des Dualismus zwischen Welt und Gott. Die
Welt wird als das „Gott-Entfremdende, Gegen-Göttliche“(G I, S.
150) verstanden. Dieser Dualismus Gott-Welt wird widerspiegelt in dem
Dualismus Mensch – Welt. Im Grunde geht es laut Jonas um zwei
Seiten des gleichen Dualismus: der ursprüngliche Dualismus zwischen
Gott und der Welt, der am Anfang des gnostischen Mythos steht, und
der, der aus dem existenziellen Zustand der Entfremdung herrührt.
Dass es der gleiche Dualismus ist, meint, dass in dem Menschen ein
Funken Göttlichkeit anzutreffen ist. Überhaupt können die
Dualismen nur so zu einer Narrative (in der Erlösungsmythos s.u.)
vereinigt werden, wenn der zu entferntesten Erhabenheit
heraufgewürdigte Gott zugleich einem inneren Kern im Menschen
entspricht: einer urreligiösen Erfahrung der Gottähnlichkeit. Dass
dieses Gefühl der Erhabenheit imstande ist, die ethischen
Intuitionen zu verstümmeln und so eine Indifferenz </span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE"><i>in
ethicis</i></span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">
zu veranlassen, wird Jonas später beschäftigen und sei hier nur
vorweggenommen. Einfache dialektische Logik lehrt diese 'paradoxe'
Fusion des äußerst Fremden und äußerst Nahem, wie es allen
mystischen Lehren zu eigen ist. Wenn ich reflektiere über das, was
mir am fernsten ist, muss ich es zumindest als seiend anerkennen, ich
kann ihm aber keine Eigenschaften zuschreiben. So entsteht ein
'reiner' Begriff, der mir zugleich am fernsten und am nächsten ist.
Es kommt darauf an, diese dialektische Bewegung nicht als
geschichtstreibenden Prozess überzubewerten, sondern sie als
'asymptotische' Grenze der Möglichkeit menschlichen Erlebens zu
betrachten. Die Subtilität menschlicher Psychologie, die
Vielschichtigkeit menschlicher Freiheit, die für Jonas Anlass zum
Philosophieren ist, erlaubt nur diese gelockerte Auffassung von der
geschichtlichen Notwendigkeit.</span></span></span></div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">Wo
der angestrengte Dualismus zwischen der Welt und Gott resultiert in
dem gigantischen Sphärenreich mit den vielen Zwischenwesen, so geht
mit der existenziellen Seite des Dualismus die gnostische
Leibfeindlichkeit einher. Der Leib wird von Anfang an, und nicht erst
seit dem Sündenfall, als feindlich betrachtet. Er ist eindeutig ein
Grab. So heißt es in einer wichtigen Quelle: “Warum habt ihr mich
von meinem Orte weg in die Gefangenschaft gebracht und in den
stinkenden Körper geworfen?“<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote7sym" name="sdfootnote7anc"><sup>7</sup></a>
Die Geworfenheit in den Körper lässt sich mit der Geworfenheit bei
Heidegger assoziieren<a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote8sym" name="sdfootnote8anc"><sup>8</sup></a>,
muss allerdings anders verstanden werden. Der Gnostiker würde die
Geworfenheit nicht zum </span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE"><i>Wesen</i></span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">
des menschlichen Daseins zählen, denn das ist das unantastbare
Pneuma.</span></span></span></div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">Bemerkenswert
am gnostischen Dualismus ist, dass auch der Geist (</span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><span lang="de-DE">ψυχέ</span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">)
sich völlig im Bereich des irdischen, also von den finsteren Mächten
Geschaffenen, befindet. Auch die Psyche ist Teil jener Fesseln womit
die Archonten verhindern wollen, dass das Pneuma zur γνωσις
gelangen kann und so Anspruch hat auf Erlösung wenn es beim Tod den
Körper verlässt. Die Psyche ist bestimmt durch das Moralgesetz,
womit die Leiber in das System eingefügt werden:</span></span></span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><span lang="de-DE">In
der radikal-gnostischen Konzeption wird der Kosmos als zur Gänze
'eingeklammerter', eigenständiger und auf Gott unbezüglicher
Bereich, gleichsam unangetastet in seinem inneren Bestand und
Kräftesystem, als Ganzes überboten, und dies führt über ihn und
seine Möglichkeiten kein Weg zu Gott (Marcion). Folgerichtig ist
auch das menschliche Weltsein und mit ihm die 'ψυχέ' von
vornherein und radikal verlorenes Gebiet, das keine positiven
Möglichkeiten zu entwicklen vorgibt; auch die ausgezeichneten
Möglichkeiten realisieren, als solche der ψυχέ, nur die
ursprüngliche Weltverhaftung, sind Vollzugsweisen der kosmischen
Verstrickung, deren Instrumente die ψυχέ in jedem Falle, weil
ihrem Wesen nach, ist. Hier wie dort, in der anthropologischen wie in
der kosmologischen Konzeption, wird der 'eingeklammerte' und
überbotene Bereich einfach sich selbst überlassen. (G II, S. 25)</span></span></span></div>
<div align="LEFT">
<span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">Das
sittliche Verhalten ist dadurch völlig unwichtig<a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote9sym" name="sdfootnote9anc"><sup>9</sup></a>:
In der Tat ist die ethische Indifferenz, die schon Plotin als
ungriechisch beanstandet hat, Jonas' Kritikpunkt an der Gnosis. Die
Gleichgültigkeit allem Irdischen gegenüber kann sich sowohl in
Askese (wie im Manichäismus; siehe G II, S. 35-37) wie im
Libertinismus auswirken (Siehe G I, S. 233ff)<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote10sym" name="sdfootnote10anc"><sup>10</sup></a>.
Diese 'ethischen' Lehren sind keine Verwirklichungen des griechischen
αρετή-Begriffs, sondern eine Ethisierung der
Entweltlichungstendenz wie sie seit der frühesten hermetischen
Gnosis aufgetreten ist (G II, S. 26ff). Anders ausgedrückt: Die
Menschheit trägt keinerlei Verantwortung, sie ist radikal entlastet.</span></span></span></div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">Warum
musste die Gnosis gerade so trennen? Warum konnte nicht mehr
zumindest bei Teilen des Moralgesetzes einen göttlichen Ursprung
erkannt werden und dieses Gesetz so in den Bereich des Pneuma hinüber
gerettet werden? Nicht, weil die Befolgung des Moralgesetzes
Schlimmes bewirken würde, wurde ihm kein göttlicher Ursprung
zugestanden, sondern umgekehrt, von der Unmöglichkeit in der
widergöttlichen Welt Gutes zu tun schloss man auf die
Widergöttlichkeit des Moralgesetzes. Es konnte als solches nur die
Psyche ansprechen, niemals das Pneuma. Die fest verankerten
Vorstellung des Bösen in der Welt musste die Trennlinie so ziehen,
dass der ganze Bereich des Handeln im Diesseits liegt. Die Frage von
Tertullian, </span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE"><i>unde
malum et quare</i></span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">
war schon definitiv beantwortet im Mythos vom Demiurgen; darum war
die Frage </span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE"><i>unde
bonum et quare</i></span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">
im Diesseits illegitim. Wenn das Phänomen des Bösen so verständlich
und allgegenwärtig ist wie in der Gnosis, wird unverständlich warum
wir das Gute um des Guten Willen tun sollten.</span></span></span></div>
<div align="LEFT">
<span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><span lang="de-DE">Die
gnostische Daseinshaltung mag hier zusammenfassend anhand eines
gnostischen Gedichtes illustriert sein:</span></span></span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><span lang="de-DE">Ein
Armer bin ich, gekommen aus der Frucht [dem Pleroma, KV],<br />ein
Entfernter, der von weit hier ist.<br />Ein Armer bin ich, dem das
Große Leben antwortete,<br />ein Entfernter, den die Uthras [der Bote
aus der Lichtwelt, KV] des Lichts entfernten.</span></span></span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><span lang="de-DE">Sie
brachten mich aus dem Wohnort der Guten,<br />ach, im Wohnort der Bösen
gaben sie mir Platz. <br />Ach, sie gaben mir Platz im
Aufenthaltsort,<br />der ganz voller Bosheit ist.</span></span></span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><span lang="de-DE">[...]</span></span></span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><span lang="de-DE">Den
Ruf der Sieben [Archonten, Planetengötter, KV] höre ich,<br />die da
untereinander wispern und sprechen:<br />'Woher ist dieser fremde
Mann,<br />dessen Rede nicht der unseren <br />Rede gleich ist?'<br />Ich
hörte nicht auf ihre Rede,<br />da wurden sie voller schlimmer Wut auf
mich.</span></span></span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><span lang="de-DE">[...]</span></span></span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><span lang="de-DE">Aber
ich, meine Kinder und meine Geschlechter,<br />ich werde aufsteigen und
den Ort des Lichtes schaun,<br />Den Ort, dessen Sonnen nicht
untergehn<br />und dessen Lampen nicht finster werden,<br />Jenen Ort,
jene Stätte,<br />zu der eure Seelen gerufen und geladen sind,<br />Und
auch die Seelen unserer Brüder, der Guten,<br />und auch jene unserer
gläubigen Schwestern.<a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/hans-jonas.blogspot.com#sdfootnote11sym" name="sdfootnote11anc"><sup>11</sup></a></span></span></span></div>
<div align="LEFT" lang="de-DE">
<br />
<br />
<hr />
</div>
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>G
II, S. 332. Vgl. Kurt Rudolph, <i>Die Gnosis</i>,
S. 67-74.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>In
den radikalsten Dualismen kommt es zwangsläufig zu einer
Unterscheidung zwischen dem Gott worüber wir aussagen machen müssen
um nicht ganz in Schweigen zu verfallen, und der Gottheit die sich
jedweder Aussagen entziehen muss. Diejenige Attribute, die nicht
verstanden werden können wenn Gott als absolut Fremder, mitunter
als Nicht-Seiender verstanden wird, werden mythologisch eingekleidet
und verstreut unter den Mittelwesen. Siehe auch unten den kurzen
Exkurs über die deutsche Mystik.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com3/#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Ob
<i>alle</i> Menschen einen solchen
Funken in sich tragen oder nur der s.g. pneumatikos sei
dahingestellt. In diesem Zusammenhang ist die soziologische
(Webersche) Deutung der Gnosis interessant, die sie zurückführen
will auf elitäre Herrschaftstrukturen.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote4">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4anc" name="sdfootnote4sym">4</a>Und
auch jetzt bekannt sind seit der Entscheidung am 24. August 2006,
Pluto nicht mehr zu den Planeten zu rechnen.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote5">
<div align="LEFT" class="sdfootnote" style="border: none; line-height: 100%; padding: 0in; page-break-before: auto;">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5anc" name="sdfootnote5sym">5</a>G.
Scholem, Ursprünge und Anfänge der Kabbala. Berlin, New York 2001,
S. 60. Der Jude Scholem war eng mit Jonas befreundet. Für die
biographischen Hintergründe siehe Christian Wiese, <i>Hans
Jonas. 'Zusammen Philosoph und Jude'. </i>Frankfurt/Main
2003, sowie Jonas' <i>Erinnerungen</i>,
Frankfurt/Main 2003.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote6">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote6anc" name="sdfootnote6sym">6</a>Siehe
Hörman, <i>Die Gnosis</i>, 1994, S. 341ff. für bildliche
Darstellungen der unterschiedlichen Systeme.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote7">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote7anc" name="sdfootnote7sym">7</a>Ginza.
Der Schatz oder das Große Buch der Mandäer, S. 388. Vgl. im
Thomas-Evangelium (Text aus dem Nag Hammadi Fund) Nr. 87 „Es
sprach Jesus so: Elend ist der Leib, der an einem Leibe hängt, und
elend ist die Seele, die an diesen beiden hängt.“ Vgl. Rechter
Ginza III: „Sie stecken ihn in Schmutz / und kleiden ihn in
Fleischesschimmer. / Sie stecken ihn in Schmutz / und bekleiden ihn
mit einem nichtigen Gewand.“ Zitiert nach Rudoph, <i>Die Gnosis</i>,
S. 129.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote8">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com3/#sdfootnote8anc" name="sdfootnote8sym">8</a>Vgl.
Sein und Zeit, S. 38ff.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote9">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote9anc" name="sdfootnote9sym">9</a>Jonas
beschreibt die 'soteriologische Brüderethik, die von der
diesseitigen Gesellschafsethik der Antike weltenweit absteht.' (G I,
170f): „Nicht mehr wie dort positive Gestaltung des weltlichen
Miteinanderseins, das durch die gemeinsamen innerweltlichen
Interessen vermittelt wird, und als letzter Sinn dieser Gestaltung
die Eingliederung des Menschen in den Kosmos, sondern, unter
Überspringung der ganzen diesseitigen Sphäre und ihrer
Individuation, einzig die Förderung der Erlösung im Anderen, d. h.
Seiner Entweltlichung, die Jedem zum <i>vehiculum</i>
der eigenen wird, ist das Ziel dieser Ethik; ihr Subjekt nicht das
konkrete Individuum, sondern nur noch sein unpersönlicher,
nichtweltlicher Kern, der <funke>, der in allen identisch ist;
und die Basis, die dieses Miteinander stiftet, worin seine
konsitutive Begegnung stattfindet – gemeinsame Einsamkeit in der
zur Fremde gewordenen Welt.“(ebd.)</funke></span></div>
</div>
<div id="sdfootnote10">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote10anc" name="sdfootnote10sym">10</a>Vgl.
Nietzsche: „Wir kennen alle den Rausch, als Musik, als blinde sich
selber blendende Schwärmerei und Anbetung vor einzelnen Menschen
und Ereignissen [...] Es giebt auch eine gewissen excentrisch
werdende Bescheidenheit, welche das Gefühl der Leere selber wieder
wollüstig empfinden läßt: ja einen Genus an der ewigen Leere
aller Dinge, eine Mystik des Glaubens an das Nichts und ein
Sich-Opfern für diesen Glauben.“ (KSA 11,25[13]).</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote11">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote11anc" name="sdfootnote11sym">11</a>Ein
Fremdenlied. Aus: „Mandäische Liturgien“. Zitiert nach Hörmann
(Hg), S. 88-90. Vgl. Ginza XV 20: „Du warest nicht von hier, und
deine Wurzel war nicht von der Welt. Das Haus, in dem du wohntest,
dieses Haus hat nicht das Leben gebauet ... Du, verehre und preise
den Ort, aus dem du gekommen bist.“</span></div>
</div>
Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-34901058083131400882012-09-09T05:03:00.000-07:002012-09-09T05:03:46.458-07:002.4 Die Gnosis<span style="color: black;">Neben
der Feststellung, die Gnosis</span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></span></span></sup><span style="color: black;">
ist eines der radikalsten praktischen Ausprägungen des Dualismus,
gibt es noch einen Grund, sie hier etwas ausführlicher zu behandeln.
Seine bahnbrechende Schriften über die Gnosis haben Jonas ein Leben
lang begleitet</span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></span></span></sup><span style="color: black;">:
1928 reichte er seine Dissertation 'über die Gnosis' bei seinen
Lehrern Heidegger und Bultmann ein; 1934 (Jonas war damals schon nach
Palästina emigiert) erschien der erste Teil, 'die mythologische
Gnosis'. Die Veröffentlichung des zweiten Teils musste bis 1954
warten, als Jonas, mittlerweile Gastprofessor am Carlton College in
Ottawa, Kanada, aus Übersee sich damit einverstanden erklärte</span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a></span></span></sup><span style="color: black;">.
Erst 1993, in seinem Todesjahr, erschien dann posthum der zweite Teil
nochmal, ergänzt mit einer Studie über Plotin und einigen wichtigen
Aufsätze über die Gnosis</span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote4sym" name="sdfootnote4anc"><sup>4</sup></a></span></span></sup><span style="color: black;">.
Es ist diesen Umständen zu verdanken, dass unser Autor lange Zeit
als 'Gnosis-Jonas' bekannt war</span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote5sym" name="sdfootnote5anc"><sup>5</sup></a></span></span></sup><span style="color: black;">.</span><br />
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">Unseren
Überlegungen sei eine kurze Beschreibung 'von außen' voran
geschickt, die einen Einblick gibt in den philosophischen Ruf der
Gnosis:</span></div>
<div class="text-body-indent-western">
Die Kabbalistische und die
Gnostische Philosophie, bei deren Urhebern, als Juden und Christen,
der Monotheismus vorweg feststand, sind Versuche, den schreienden
Widerspruch zwischen der Hervorbringung der Welt durch ein
allmächtiges, allgütiges und allweises Wesen, und der traurigen,
mangelhaften Beschaffenheit ebendieser Welt aufzuheben. Sie führen
daher, zwischen die Welt und jene Weltursache, eine Reihe Mittelwesen
ein, durch deren Schuld ein Abfall und durch diesen erst die Welt
entstanden sei. Sie wälzen also gleichsam die Schuld vom Souverän
auf die Minister. Angedeutet war dies Verfahren freilich schon durch
den Mythos vom Sündenfall, der überhaupt der Glanzpunkt des
Judentums ist. Jene Wesen nun also sind, bei den Gnostikern, das
phlegmata, die Aeonen, die hyle, der Demiurgos usw. Die Reihe wurde
von jedem Gnostiker beliebig verlängert. Das ganze Verfahren ist dem
analog, daß, um den Widerspruch, den die angenommene Verbindung und
wechselseitige Einwirkung einer materiellen und immateriellen
Substanz im Menschen mit sich führt, zu mildern, physiologische
Philosophen Mittelwesen einzuschieben suchten, wie Nervenflüssigkeit,
Nervenäther, Lebensgeister und dergl. Beides verdeckt, was es nicht
aufzuheben vermag.<sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote6sym" name="sdfootnote6anc"><sup>6</sup></a></sup></div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">Das
Phänomen der Gnosis betrachten wir als Exemplifikation jener
'geschichtlichen Notwendigkeit' um die es in diesem Kapitel geht. Wir
haben gesehen, dass der 'Aufschrei des Todes' als Erfahrung jeder
frühen Menschengemeinschaft auf Dauer nicht durch den naiven
Monismus in Zaum zu halten ist. Diese Überlegung konnte nicht durch
konkrete Kulturen belegt werden. Die Entstehungsstunde des frühesten
Dualismus kann nicht genau bestimmt werden, schon weil sie
wahrscheinlich aus der Zeit vor der Entstehung der Schrift stammt,
aus der wir ja keine Dokumente haben. Von der Gnosis hingegen,
besitzen wir einen relativ gut erhaltenen Quellenbestand<a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote7sym" name="sdfootnote7anc"><sup>7</sup></a>.
Wir folgen Jonas in seiner pragmatischen Bestimmung des Phänomens,
also in seiner Definition der Sache über ein </span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><i>Vor</i></span></span><span style="color: black;">verständnis,
das niemals völlig gerechtfertigt werden kann. Die gefundenen
Phänomene werden zwar der Definition entsprechen, sie aber nicht
berichtigen können. Er ist sich dieses Abgrenzungsproblems bewusst<a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote8sym" name="sdfootnote8anc"><sup>8</sup></a>
wenn er die Gnosis auf ihre 'Daseinshaltung' hin untersucht. Diese
Gnosis also ist die religiöse Manifestation des bislang größten
dualistischen Exzesses. Die Grunderfahrung die sie verursacht hat ist
nicht nur die allgemein menschliche Erfahrung der Sterblichkeit,
sondern die mehr spezifische Erfahrung 'kosmischer Einsamkeit'
(streng genommen ist dieser Terminus unglücklich gewählt, denn was
er ausdrücken will ist gerade, dass der einsame menschliche
Beobachter aufhört sich als Teil des </span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><i>kosmos</i></span></span><span style="color: black;">,
der Weltordnung zu empfinden). Diese Erfahrung kann in den
unterschiedlichsten kulturellen Kontexten auftauchen. Jonas zitiert
in diesem Zusammenhang aus Pascal's Pensées, eines der
eindringlichsten Zeugnisse menschlicher Einsamkeit: </span>
</div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;">Quand
je considère la petite durée de ma vie, absorbée dans l'éternité
précédant et suivant, le petit espace que je remplis et même que
je vois, abîmé dan l'infinie immensité des espaces que j'ignore et
qui m'ignorent, je 'effraie et m'étonne de me voir ici plutôt que
là, car il n'y a point de raison pourquoi ici plutôt que là,
pourquoi à présent plutôt que lors. Qui m'y a mis? Par l'ordre et
la conduite de qui ce lieu et ce temps a-t-il été destiné à moi?
<a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote9sym" name="sdfootnote9anc"><sup>9</sup></a>
</span></span>
</div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">Es
ist die Gefahr des Nihilismus, und Jonas wird später die
Grundübereinstimmung zwischen dem modernen Existentialismus und der
Gnosis einsehen. Für Jonas bezeichnet 'Gnosis' eine
'Daseinshaltung', ein Vorläufer seines späteren Begriffes
'Seinsdeutung'. Indem die Gnosis eine konkrete Reaktion (die
Entweltlichungstendenz) auf eine konkrete historische Lage darstellt,
kann an ihr die geschichtliche Notwendigkeit der Abfolge von
Seinsdeutungen illustriert werden. Der bereits vorhandene Dualismus<a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote10sym" name="sdfootnote10anc"><sup>10</sup></a>
musste sich, katalysiert durch die miesen Welterfahrungen, drastisch
verschärfen. Über die historische Ursache der Gnosis ist die
Forschung nicht einer Meinung<a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote11sym" name="sdfootnote11anc"><sup>11</sup></a>.
Jonas geht davon aus, dass sie eine mittelbare Folge des Untergangs
der griechischen Polis war:</span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;">Immer
blieb wenigstens der Kosmos die große Polis für seine Bürger, die
Geschöpfe, immer blieb er der vollkommene Gott. Auf den Menschen
rückübersetzt: die große innerweltliche Daseinsmöglichkeit, die
das Griechentum für die Eingliederung des Menschen in die Welt
gewonnen hatte, blieb auch in der eingetretenen Brüchigkeit des
tatsächlichen Verhältnisses theoretisch und der aufgebotenen
Haltung nach ungebrochen. Demgegenüber quillt im Gnostizismus [...]
etwas völlig Anderes herauf: ungeheure Daseins-Unsicherheit,
Welt-Angst des Menschen, Angst vor der Welt und vor sich selbst.<a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote12sym" name="sdfootnote12anc"><sup>12</sup></a></span></span></div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">Bei
der Gnosis geht es laut Jonas um eine genau abgegrenzte, spezifische
'Seinserfahrung'; hier wäre also der Ort, die Verschränkung
historischer Gegebenheiten, psychologischer Auswirkungen und
ontologischer Verwurzelung zu illustrieren. Der Nachweis, dass die
allgemeinste Disziplin genetisch bedingt ist durch ihren historischen
Kontext, kann nur lehrreich sein.</span></div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">Bevor
wir näher auf den Dualismus in der Gnosis eingehen, sei angedeutet,
dass der andere Aspekt den ich in meiner Rekonstruktion systematisch
zu berücksichtigen versuche, der geistige Akt der den Bogen
überspannt und die Einheitserfahrung trotz des Dualismus
wiederherstellt, unmittelbar danach behandelt wird. In dem Kontext
der Gnosis geht es dabei natürlich um die </span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><i>Erlösung</i></span></span><span style="color: black;">,
die Befreiung des Pneuma aus dem Leib, die Hoffnung aus dem irdischen
Gefängnis befreit zu werden. Bei Jonas liegt der Nachdruck nicht auf
diese narrative Leistung, die zeigt wie der gnostische Dualismus
gelebt wird, sondern auf die 'Seinserfahrung', die zeigt wie er
zustande kommt. Vielleicht liegt das daran, dass Jonas die Gnosis in
seiner Interpretation bewusst für die Philosophie salonfähig
gemacht hat indem er ihr die 'mythologischen Verschroben- heiten'
abgestreift hat<a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote13sym" name="sdfootnote13anc"><sup>13</sup></a>.
</span>
</div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Eine
allgemeine Einführung in die Gnosis bietet Micha Brumlik, <i>Die
Gnostiker</i>. Interessant ist, dass er wie Jonas kommend aus der
Gnosisforschung zu einer Kritik an Heidegger kommt: „Noch in einer
weiteren Hinsicht steht Heidegger trotz seiner orthodox christlichen
Sündenlehre in der Schuld gnostischen Denkens: Jene Formen von
Verfehlung und Versuchung, die für Heidegger grundsätzliche
Elemente des menschlichen Lebens bilden, entbehren jedes
konkreteren, ethischen Bezuges“ (S. 331).
</div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>Zu
den persönlichen Motive: Siehe Micha Brumlik, <i>Ressentiment –
Über einige Motive in Hans Jonas' frühen Gnosisbuch</i>. In:
Prinzip Zukunft, S. 113-128. Er legt u.a. dar, wie Jonas die
Hoffnung in der Gnosis nicht wahrhaben wollte (wie sie z.B. im
valentianischen 'Evangelium veritatis' enthalten ist, eine Schrift
die im übrigen erst 30 Jahre nach Jonas' Dissertation entdeckt
wurde).
</div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Einzelne
Teile waren zuvor als Artikel publiziert.</div>
</div>
<div id="sdfootnote4">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote4anc" name="sdfootnote4sym">4</a>U.a.
der Artikel 'Gnosis, Existentialismus und Nihilismus', abgedruckt im
ZNE, S. 4-25.</div>
</div>
<div id="sdfootnote5">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote5anc" name="sdfootnote5sym">5</a>Vgl.
R. Löw, Die neuen Gottesbeweise, Augsburg 1994, S. 92.</div>
</div>
<div id="sdfootnote6">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote6anc" name="sdfootnote6sym">6</a>A.
Schopenhauer, Parerga I, Fragmente zur Geschichte der Philosophie,
§8. Gnostiker. Diese Analogie von Schopenhauer wird auch von Jonas
nachvollzogen.</div>
</div>
<div id="sdfootnote7">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote7anc" name="sdfootnote7sym">7</a>Die
klassischen Texten, die Kommentare der Kirchenväter und die in 1945
entdeckte Nag-Hammadi Codices. Jonas hat diese in dem zweiten Teil
seiner Gnosisarbeit berücksichtigt.</div>
</div>
<div id="sdfootnote8">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote8anc" name="sdfootnote8sym">8</a>Siehe
G II, S. 328.</div>
</div>
<div id="sdfootnote9">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote9anc" name="sdfootnote9sym">9</a>Pensée
205. Vgl. 347. Zitiert in PL, S. 348. Darf man so etwas in eine
andere Sprache übersetzen?</div>
</div>
<div id="sdfootnote10">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote10anc" name="sdfootnote10sym">10</a>Die
Spaltung im Ursprung der Welt und deren Aufhebung ist bekanntlich
bereits bei Platon belegt, etwa im Symposion 15, 189c-193d oder am
Schluß der Nomoi 12; bei Empedocles heißt es: „Ein weiblicher
Daimon, der die Seelen mit fremdartiger Fleischeshülle umkleidet“
(Diels/Kranz, Nr. B 126); im Christlichen Bereich lässt sich pars
pro toto Epf 2,14f heranziehen: „Denn er ist unser Friede, der aus
beiden <i>eines </i>gemacht hat...“</div>
</div>
<div id="sdfootnote11">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote11anc" name="sdfootnote11sym">11</a>Manche
meinen, die Gnosis sei jüdischen Ursprungs. So Prof. Quispel in
einer Diskussion mit Jonas (Siehe G II, 358). Laut Jonas ist die
Gnosis entstanden 'at the fringe of judaism'; jedoch ist sie
Ausdruck einer selbständigen Denkströmung: Jonas spricht von „the
incipient Gnostic flood“ und „the mighty gnostic tide“(ebd).
Vgl. G I, S. 74: „In den Jahrhunderten um die Zeitenwende erwuchs
in den Gebieten östlich des Mittelmeeres bis tief nach Asien hinein
ein neues Welgefühl – soviel wir sehen in spontaner
Gleichzeitigkeit auf weitem Raume -, mit ungeheurer Macht und aller
Verworrenheit des Anfangs hervorbrechend und naturgemäß nach
eigenem Ausdruck ringend.“ Kurt Rudolph definiert in seinem
Standardwerk die Gnosis als „eine
historische Kategorie, die eine bestimmte Form spätantiker
Weltanschauungen erfassen will und dabei an deren eigenes
Selbstverständnis anknüpft.“(S. 64).</div>
</div>
<div id="sdfootnote12">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote12anc" name="sdfootnote12sym">12</a>G
I, S. 143. Vgl „die pantheistische Illusion der Antike ist
zerbrochen“ (S. 170).</div>
</div>
<div id="sdfootnote13">
<div class="sdfootnote">
<a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote13anc" name="sdfootnote13sym">13</a>Diese
Methode hat Jonas bereits in AF
entwickelt. „[dass] selbst den entlegensten und metaphysischten
dogmatischen Hypostasierungen irgendein konkreter ursprünglicher
Erfahrungsboden zugrundeliegt.“ (S. 80). Die Dogmen müssen
'entmythologisiert' werden um sie für die Daseinsanalyse zugänglich
zu machen. Der Begriff 'Entmythologisierung' wurde übrigens später
von Rudolf Bultmann adoptiert. Vgl dazu: Poliwoda 2005, S.
28.</div>
</div>
Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-69855089588211522102012-09-09T04:59:00.000-07:002012-09-09T05:05:15.630-07:002.3 Der Dualismus<br />
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">Der
Widerspruch zwischen Tod und Leben im Panvitalismus, der sich bezieht
auf die wichtigste Erfahrungsquelle, nämlich den (eigenen) Leib,
konnte nicht bestehen. Der Gräberkult konnte ihn zwar
„beschwichtigen, aber nicht zum Schweigen bringen“ (PL, 32).
Irgendwann war die Glaubhaftigkeit der einst selbstverständlichen
Erfahrung des Lebendigen ausgeschöpft; die ständige Wiederholung
des Sterbens musste die Erfahrungsgrundlage der naiven Seinsdeutung
unterminieren. </span>
</div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">In
der Sprache meiner Interpretation gefasst: Die Gesamtheit der
Erfahrung konnte nicht länger als Einheit gedeutet werden, sondern
</span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><i>um</i></span></span><span style="color: black;">
weiterhin verstehen zu können, musste der unverständliche
Widerspruch in Begriffen abgelagert (ausgelagert?) werden. Die
Spaltung musste explizit gemacht werden:</span></div>
<div class="text-body-indent-western">
„<i>Soma-sema</i>, 'der Leib –
ein Grab', so lautete (in der Orphik) die erste <i>dualistische</i>
Antwort auf das Problem des Todes, das nun, ebenso wie das des
Lebens, zum Problem des Verhältnisses zweier verschiedener
Entitäten, Körper und Seele, geworden war.“ (PL, 32).</div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">Die
immer virulentere Erfahrung des Todes hatte eine strikte theoretische
Trennung der Bereiche Seele und Leib zur Folge. Das dem Leben
Entgegengesetzte musste auch theoretisch aus der Sphäre des
Lebendigen verbannt werden. </span>
</div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">Die
Frage nach der </span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><i>Einheit</i></span></span><span style="color: black;">
beider Sphären, die Frage nach einer Gesamtdeutung alles Seiende
stellte sich erneut. Dieser Aspekt der Sache, dass nämlich noch der
radikalste Dualismus nur in Köpfen von Theoretikern bestehen kann,
die beide Seiten in Einheit denken können, scheint mir bei Jonas
unterbeleuchtet. Wie schafften es die dualistischen Denksysteme, zwei
völlig unabhängige Seinsbereiche zu postulieren? Salopp
formuliert: wieso sind Dualisten nicht schizophren?</span></div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">In
nahezu allen bekannten Fällen geht mit den dualistischen Systemen
das Konzept Erlösung einher. Die seelische Substanz erhält einen
eigenen Seinsbereich nur in Abgrenzung zu der weltlichen Substanz,
also die beiden werden in einen Vergleich gesetzt. Völlige
Andersartigkeit ist natürlich ausgeschlossen. In etwas müssen die
Seinsbereiche übereinstimmen. Die menschliche Seele kann sich von
dem Leib befreien; nur eine menschliche Narrative kann beide Bereiche
umfassen, und solange die Einheit dieser Narrative gesichert ist, ist
auch der Zusammenhang alles Seienden gesichert. Die ursprüngliche
Leistung, das Weltganze als Einheit zu begreifen muss nunmehr auf die
Leistung des Individuums rekurrieren, sich selbst als Einheit zu
begreifen</span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></span></span></sup><span style="color: black;">.
Schon hier wird deutlich wie eng Seinsdeutung und Selbstdeutung
zusammenhängen. Das Individuum versteht sich selbst zwar von
vornherein als Eins, jedoch dieses Verständnis wird erst </span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><i>kritisch</i></span></span><span style="color: black;">
wenn er den Gegenpart dieser Einheit in seinem Gegenüber, im
Weltganzen nicht mehr entdecken kann. Die Welt erfährt es nicht so
integriert wie es sich selbst erfährt. Es entfremdet sich, denn es
muss seine Einheit nunmehr auf Kosten der Weltbezogenheit
zurückgewinnen. Wer ist es selbst, in dieser bedrohlichen Welt?
Erfinderisch wie es ist, beginnt es sich als Bürger zweier Welten zu
empfinden. Als Leib empfindet es sich noch als Teil der materialen
Welt; seine Seele gehört einer höheren Seinsordnung an. Die Seele
kann sich in jedem Dualismus aus dem Körper befreien und zu reiner
Teilhabe an ihrer eigentlichen Seinsordnung aufsteigen. Mit dem
Dualismus entstand auch der Jargon der Eigentlichkeit. Es ist die
Narrativität</span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></span></span></sup><span style="color: black;">
des Individuums, die die Grundvoraussetzung des Dualismus
gewährleistet, nämlich die Erfassung der Welt als Einheit trotz der
bis zum Äußersten strapazierten ontischen Differenz. Weil sie
narrativ die Unvergänglichkeit der eigenen Seele einholen konnten,
wurde es möglich den eigenen Körper als vergänglich zu begreifen.
Damit war der Status der unmittelbaren Erfahrung, der durch die immer
wieder hervorstechende Absurdität des Todes, jenes 'logischen'
Affront (PL, 26) fast untergraben war, vorerst gerettet. Die
theoretischen Anstrengungen, den innersten Vitalbefund in dem Begriff
der unsterblichen Seele zu verfestigen, ermöglichten es, den Tod
nicht länger als endgültig anzusehen und neutralisierten so den
Skandal des Todes. Dem Grab ist seine Absurdität genommen: statt
ewiger Widerspruch im Herzen des Seins, der auch vom prunkvollsten
Grab (Pyramiden) nicht für immer verdeckt werden konnte, ist das
Grab nun leer (PL, 34) und der Essenz des einst Lebendigen nun in
einer höheren Seinsordnung angesiedelt. In dem Vokabular meiner
Interpretation heißt das: das Individuum schafft es, über sich
selbst eine einheitliche Geschichte zu erzählen, worin seine Seele
an der Totalität des Seins teil hat. Wir werden unten sehen wie
diese Narrative in der Gnosis konkret aussah.</span></div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">Der
Dualismus ist also charakterisiert durch die 'Entstehung des
unweltlichen Selbst' (PL, 33). Jonas betont die Notwendigkeit einer
dualistischen Phase:</span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<i>Dualismus</i>
ist das Bindeglied, das historisch zwischen den beiden Extremen [dem
Panvitalismus und dem Panmechanismus, K. V.] vermittelte, die wir
bisher unhistorisch einander gegenübergestellt haben: er war in der
Tat das Vehikel für die Bewegung, die den menschlichen Geist vom
vitalistischen Monismus der Vorzeit zum materialistischen Monismus
der Jetztzeit, als zu ihrem unvorsätzlichen, ja paradoxen Ergebnis,
führte: und es ist schwer zu sehen, wie der eine von dem andern her
hätte anders als auf diesem gewaltigen Umweg erreicht werden können.
(PL, 31).</div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">Der
Weg durch den Dualismus ist unumkehrbar (PL, 35). Eine Rückkehr zum
Monismus der Urzeit ist nicht möglich</span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a></span></span></sup><span style="color: black;">,
denn „der Dualismus war keine willkürliche Erfindung, sondern die
Zweiheit, die er zum Vorschein brachte, ist im Sein selbst
begründet.“ (PL, 36). Jeder Postdualismus muss mit dem Erbe des
Dualismus fertig werden (PL, 36). </span>
</div>
<div align="JUSTIFY">
<span style="color: black;">Die
Notwendigkeit der dualistischen Phase kann natürlich von einer
kulturrelativistischen Position her in Frage gestellt werden; Jonas
muss zugestanden werden, dass zumindest für das Selbstverständnis
der abendländischen Kultur die vom Dualismus formulierte Polarität
unhinterfragbar ist. Ich glaube aber nicht, dass Jonas zum Beispiel
den Buddhismus für zurückgeblieben halten würde aus dem Grunde,
dass sich dort keine 'dualistische Revolution' im Denken ereignet
hat.</span></div>
<div align="LEFT">
<span style="color: black;">Um
die dualistische Weltsicht besser zu verstehen, wenden wir uns jetzt
dem </span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><i>non plus
ultra</i></span></span><span style="color: black;"> des
Dualismus zu, der von Jonas ausführlich studierten </span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><i>Gnosis</i></span></span><span style="color: black;">.</span></div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://www.hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Vgl.
V. Gerhardt, Individualität, S. 70 (Nr. 2.5); S. 110 (Nr. 3.13).
</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://www.hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>Jonas
hat den Namen Ricoeur genannt als ihn gefragt wurde, welchen
zeitgenössischen Philosophen er für bedeutend hielt. Siehe Focus 3
/ 18. Januar 1993, S.89.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Der
integrale Monismus, den Jonas selbst anstrebt, ist der Versuch einer
expliziten Bewältigung des Dualismus, die die Polarität nicht
Rückgängig machen kann, sondern sie „in eine höhere Einheit des
Seins aufheben [will], aus der sie als Seiten seiner Realität oder
Phasen seines Werdens hervorgehen.“ (PL, 36). Jonas' Unterschied
zwischen dem vorzeitlichen, naiven Monismus und dem
postdualistischen Monismus ist aber begrifflich unscharf. Der naive
Monismus hatte seine Anomalie durch das Grab bewältigt; der
integrale Monismus bedarf theoretischer Anstrengung.</span></div>
</div>
Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-22521725413232747822012-07-30T00:35:00.000-07:002012-07-30T00:35:03.148-07:002.2 Der PanvitalismusDie Anfänge 'menschlicher Seinsdeutung' waren laut Jonas
panvitalistischer Natur. Das einzige Erklärungsmuster das zur
Verfügung stand war das Leben, und sämtliche Erscheinungen wurden
mithin als lebendig gedeutet. Im Gegensatz zu dem, was der heutige
<i>common sense</i> meint, war es die 'allernatürlichste Annahme'
(PL, 25) dass die Welt und alles in ihr belebt ist. In der Tat lehrt
die Erfahrung aus dem menschlichen Nahbereich, dass Leben die Regel
ist und nicht die Ausnahme. „Erde, Wind und Wasser – zeugend,
wimmelnd, nährend, zerstörend – sind alles andere als Paradigmen
'bloßen Stoffes'.“ (PL, 25). Der Anteil an eindeutig 'totem'
Material ist in der urzeitlichen Erfahrung einfach zu klein, um ein
Paradigma abgeben zu können.<br />
<div class="text-body-indent-western">
So war der urzeitliche
Panpsychismus<sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></sup>,
auch abgesehen davon, daß er mächtigen Bedürfnissen der Seele
entsprach, weithin gerechtfertigt nach Normen des Schließens und
Beweisens innerhalb des zugänglichen Erfahrungsbereichs und fand
sich ständig bestätigt durch die tatsächliche Präponderanz des
Lebens im Nah-Horizont seines irdischen Heims. (PL, 25)</div>
Das 'mächtige Bedürfnis der Seele' ist, dass der Mensch sich in
der Welt heim fühlt und dies mit gutem wissenschaftlichen Gewissen
tun kann. Zweifel an dem Grundcharakter alles Seins als Lebendiges
kamen einfach nicht auf; einzelne anscheinend leblose Sachen konnten
mühelos mit der allgemeinen 'Hypothese' in Einklang gebracht werden.
Diese Sachlage konnte sich nur verändern durch eine beständige,
eindringliche Erfahrung, die sich immer wieder der Kategorisierung
unter dem Oberbegriff des Lebendigen entzog. Diese Ausnahme war der
Tod. Der tote Körper stellte ein unlösbares Rätsel für unsere
panvitalistischen Vorfahren dar, weil er gerade im innersten
Erfahrungsbereich des Lebendigen virulent eindrang und alle Urbilder
der Lebendigkeit zu widersprechen schien.<br />
In den frühen Hochkulturen war der Tod erklärungsbedürftig. Mit
großem rituellen Aufwand wurde versucht, was die Theorie noch nicht
zu leisten vermochte: den Tod als natürlich anzuerkennen.
<br />
Was meint Jonas mit dem Anfang der 'Seinsdeutung'? Gewiss nicht
die bloße Tätigkeit, sich etwas als seiend vor-zu-stellen, denn das
tun Raubtiere auch wenn sie ihre Beute verfolgen, und diese genauso
wenn sie vor jenen flieht. Das Element der Deutung, der
Interpretation ist ein spezifisch humanes Ingredienz, und erfordert
ein Abstraktionsniveau das erst mit der Sprache möglich wird<sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></sup>.
Erst sprachliche Wesen können reflektieren über Eigenschaften des
Seins als solches; erst sie können ein Analogon erfassen, das
<i>allgemein</i> für alles erfahrene Seiende<sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a></sup>
zutrifft. Unabhängig von der Tatsache, wie differenziert Seiendes in
einer Kultur erfahren wurde, ob zum Beispiel zwischen Mond, Sternen
und Planeten unterschieden werden konnte, ist das entscheidende
Kriterium für den Anfang der Seinsdeutung die Fähigkeit zur
Abstraktion (und das setzt das Gedächtnis voraus) die weit genug
geht um das Ganze seiner Erfahrungen und das korrespondierende Sein
als Eins zu erfassen. Dem Menschen, lebend in <i>einer</i>
Gemeinschaft, geht es schon am Anfang aller Theorie um das Eine.<br />
Die menschliche Seinsdeutung – und damit die Seinsdeutung
überhaupt – hat also angefangen als unsere Urahnen die Gesamtheit
ihrer Erfahrungen als <i>Einheit</i> (Totalität) zu erfassen
begannen, und dieser Einheit dann Eigenschaften zuschreiben konnten.
Aus diesem Verständnis von 'Seinsdeutung' als Ur-Akt des Verstehens
wird verständlich warum Jonas ohne (prä)historische Untersuchung<sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4sym" name="sdfootnote4anc"><sup>4</sup></a></sup>
den Panvitalismus als Ausgangszustand menschlicher Seinsdeutung
verstand.<br />
Da wir keine überlieferten Darstellungen der 'Urphilosophie'
haben, scheint es mir angebracht, sie mit unseren Begriffen zu
beschreiben. Das Wesentliche an dem Panvitalismus sind dann nicht
mehr das Verständnis der Welt über die Merkmale des Lebendigen (das
Zeugende und Bewegende) sondern die erstmalige Leistung, die
<i>Gesamtheit der erlebten Welt unter einen Nenner</i> zu bringen.
<br />
Diese Interpretation Jonas' geschichtlicher Darstellung erlaubt
uns im Folgenden die 'Geschichte der Seinsdeutung' in beiden Modi des
Genitivs zu verstehen. Wir werden mit Jonas die Kohärente
Nacherzählung der quasi-dialektischen Kapriolen menschlicher
Seinsauslegung schildern, und darüber hinaus die Geschichtlichkeit
der Deutung selbst im Auge behalten. Dieser Hinweis auf die
Geschichtlichkeit soll nicht zu einem historischen Relativismus
führen, sondern eine Sensibilität in Hinblick auf die Möglichkeiten
unseres Verstehens vermitteln.
<br />
Jonas' Anspruch ist, eine gewisse Notwendigkeit in der
geschichtlichen Entwicklung von Seinsdeutung nachzuweisen. Ich werde
versuchen, diese Notwendigkeit begrifflich etwas stärker
hervorzuheben als es in seinen Aufsätzen geschieht. Damit soll Jonas
nicht in ein hermetisches, hegelianisches System zurückübersetzt
werden, sondern umgekehrt soll deutlich werden, wieviel von dieser
Notwendigkeit der Topologie unseres Nachdenkens zuzuschreiben ist,
und wieviel der tatsächlichen historischen Entwicklung.<br />
Der Gräberkult als symbolischer Akt, die Toten in Kontinuität
mit den Lebendigen und dem Lebendigen zu gedenken, konnte auf Dauer
nicht mehr standhalten gegen die Versuchungen des theoretischen
Geistes, den brisanten Widerspruch begrifflich zu fassen. Der
Dualismus musste den Panvitalismus ablösen.<br />
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Jonas
gebraucht 'belebt' und 'beseelt' synonym. In dem Kontext
anfänglicher Seinsdeutung ist er dazu auch berechtigt, denn dort
gibt es noch keine ausgeprägten Begriffe von 'Leben' und 'Seele'.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>Die
Frage nach den Anfängen und Ursachen menschlicher
Abstraktionsfähigkeit, die evolutionär gesehen die Entwicklung der
Sprache vorausgegangen sein muss, kann hier nicht untersucht werden.
Wahrscheinlich hat die Spurenlese erheblich dazu beigetragen.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Die
ontologische 'Kluft' zwischen Sein und Seiendem tritt erst später
zu Tage, wenn die Grammatik sich so weit entwickelt hat, dass sie
die Frage nach dem <i>Nichtsein</i> aufwirft. Für die
Rekonstruktion der <i>Anfänge</i> menschlicher Seinsdeutung ist die
ontologische Kluft nicht wichtig.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote4">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4anc" name="sdfootnote4sym">4</a>Jonas
nennt das Gilgamesch-Epos aus dem 12. Jahrhundert v. Chr. als
paradigmatischen Fall für den Panvitalismus. Der sumerische
Gott-König Gilgamesch sucht rastlos nach Unsterblichkeit. Die wird
ihm aber von den Göttern verweigert. Aber der Rückschluss von der
in Keilschrift überlieferten Queste nach Unsterblichkeit
(immerwährendem Leben) auf den Panvitalismus scheint mir unerlaubt.
Das Epos lässt sich durchaus auch als eine Geschichte verstehen, in
dem der fundamentale Unterschied zwischen toter Materie und
lebendiger Form noch nicht theoretisch reflektiert ist, praktisch
aber vorweg genommen wird. Ob das Leben in jener entfernten Vorzeit
das <i>einzige </i>Anzeichen des
Seins war können wir, trotz Nietzsche („Wir haben vom 'Sein'
keine andere Vorstellung als 'Leben'. Wie kann also etwas Totes
'sein'?“ , VIII, 2[172]), nicht sagen.</span></div>
</div>
<div class="zemanta-pixie" style="height: 15px; margin-top: 10px;">
<a class="zemanta-pixie-a" href="http://www.zemanta.com/?px" title="Enhanced by Zemanta"><img alt="Enhanced by Zemanta" class="zemanta-pixie-img" src="http://img.zemanta.com/zemified_e.png?x-id=0c1303c1-b6b6-4c38-930e-c5c6f2a05cf8" style="border: none; float: right;" /></a></div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-74318062332019318612012-07-30T00:28:00.000-07:002012-07-30T00:28:18.675-07:002.1 Über den Nutzen einer historischen Betrachtung<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container zemanta-img" style="float: right; margin-right: 1em; text-align: right;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="http://commons.wikipedia.org/wiki/File:Georg_Wilhelm_Friedrich_Hegel00.jpg" imageanchor="1" style="margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: clear:right;"><img alt="Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831)" border="0" class="zemanta-img-inserted" height="200" src="http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/bc/Georg_Wilhelm_Friedrich_Hegel00.jpg/300px-Georg_Wilhelm_Friedrich_Hegel00.jpg" style="border: none; font-size: 0.8em;" width="148" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption zemanta-img-attribution" style="text-align: center; width: 300px;">Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) (Photo credit: <a href="http://commons.wikipedia.org/wiki/File:Georg_Wilhelm_Friedrich_Hegel00.jpg" target="_blank">Wikipedia</a>)</td></tr>
</tbody></table>
<span style="color: black;">Jonas
steht insofern auf dem Boden der deutschen philosophischen Tradition,
dass er die geschichtliche Entwicklung eines Konzeptes für eine
philosophische Betrachtung für unentbehrlich hält. Das heißt bei
ihm nicht – wie bei Hegel – dass Denken und Welt letztendlich
identisch sind und die alten Denksysteme notwendige Phasen in der
Entwicklung des absoluten Geistes sind und den Keim der
Selbstüberwindung in sich tragen</span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></span></span></sup><span style="color: black;">.
Jonas betrachtet die alten Theorien zunächst als selbständige
Gebilden, von denen man etwas lernen kann. In der bereits
herangezogenen späten Schrift 'Materie, Geist und Schöpfung', also
nach einem 'jahrzehntelangen Nachsinnen' (MGS, 8) schreibt Jonas, was
seines Erachtens der Stellenwert der philosophischen Theorien ist,
die es in diesem Kapitel zu behandeln gilt:</span><br />
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;">„<span style="font-size: x-small;">Reine
Natur“, „reines Bewußtsein“, Materialismus, Idealismus, selbst
Dualismus waren nützliche Fiktionen; in ihrem Windschutz wurden, und
werden weiterhin, wichtige Einsichten gewonnen.</span></span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></span></span></sup></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;">Die
heutige Auffassung ist somit nicht per se 'weiter' als die, die vom
Laufe der Geschichte überholt wurden; sie ist nicht per se adäquater
als alle ihre Vorgänger, geschweige denn sie enthält deren Wahrheit
aufgehoben als Moment in sich. Jonas erteilt eine klare Absage an den
Dialektischen Eifer einer Systemphilosophie für die alles und jenes
</span><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><i>vermittelt</i></span></span><span style="color: black;">
sein muss.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;">Dennoch
hält Jonas an der Idee einer notwendigen Abfolge von Theorien fest.
Seine Ablehnung der absoluten Dialektik darf nicht darauf hinaus
laufen, dass alles Geschichtliche bestenfalls eine äußere, von uns
hinein projizierte Gesetzlichkeit hat, an sich aber nur eine
Ansammlung kontingenter Tatsachen ist. </span>
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;">Warum
hält Jonas seine Überlegungen denn für dermaßen anders als die
Hegels, dass er dessen System nicht ergänzen will, sondern für
überholt hält:</span></div>
<div class="text-body-indent-western">
Der erste Schritt [in Hegels
universaler Dialektik] ist genau das, wozu wir uns in unserem
kosmogonischen Vermuten mehr und mehr gedrängt sehen: die extreme
Selbstentäußerung des Schöpfergeistes im Anfang der Dinge. Die
Fortsetzung jedoch – Hegels majestätische Entwicklung allen
Werdens Schritt für dialektischen Schritt auf uns hin und durch uns
hindurch zur Vollendung, überhaupt die ganze erbauliche Idee einer
intelligiblen Gesetzlichkeit <i>eines</i>
Gesamtprozesses, der von vornherein seines Erfolges versichert ist,
müssen wir ernüchterteren Zuschauer des großen und des kleinen
Welttheaters – der Natur und der Geschichte – verneinen. Zu
erdrückend ist die Gegenevidenz. (MGS, 51).</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;">Diese
Gegenevidenz ist die unmittelbare Erfahrung eines 'an sich' Bösen.
Wenn eine unmittelbare Erfahrung, will sagen eine Erfahrung hinter
die wir nicht zurückgehen können und </span><span style="color: black;">wollen</span><span style="color: black;">,
lehrt dass die Welt nicht perfekt ist, dass wir uns keine Vernunft
vorstellen, geschweige denn philosophisch postulieren können, dessen
List es wäre, Auschwitz zu veranlassen, kann das nicht ohne
Konsequenzen für die Grundlagen der Philosophie bleiben. Das radikal
Böse kann auf keine Weise in die Dialektik aufgenommen werden, und
impliziert so eine radikale Kontingenz. Der Begriff dieser radikalen
Kontingenz kann nicht in das dialektische System aufgenommen werden,
ohne den logischen Grundcharakter zu zerstören. Hegels dialektische
Logik, durch die Methode der bestimmten Negation vorangetrieben, kann
bei 'Zufällen', nicht stehen bleiben. „Das Dialektische macht
[...] die bewegende Seele des wissenschaftlichen Fortgehens aus und
ist das Prinzip, wodurch aller immanenter Zusammenhang und
Notwendigkeit in den Inhalt der Wissenschaft kommt, so wie in ihm
überhaupt die wahrhafte, nicht äußerliche Erhebung über das
Endliche liegt“</span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a></span></span></sup><span style="color: black;">
</span>
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;">Der
Stellenwert von Begriffen bei Jonas ist bescheidener, und sein
System, wenn man es so nennen kann, hat nicht den Anspruch darauf,
alle wesentlichen Momente der Geschichte in Begriffen zu erfassen. </span>
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;">Der
Widerspruch eines sich entfaltenden Geistes, der dennoch den
heterogenen Zufall dulden muss</span><sup><span style="color: black;"><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4sym" name="sdfootnote4anc"><sup>4</sup></a></span></span></sup><span style="color: black;">,
ist weniger gravierend als der 'gefühlte' Widerspruch, dass die
Grausamkeiten irgendwie notwendig sind, und dass der Geist sich darin
entwickelt.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><br />Wir
betrachten nun Hegels Überlegungen etwas genauer. Für Hegel setzt
jede philosophische Betrachtung der Geschichte die Vernünftigkeit
derselben voraus:</span></div>
<div class="text-body-indent-western" style="orphans: 0; widows: 0;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: 'Times New Roman', serif;"><span style="font-size: x-small;">Der
einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringt, ist aber der einfache
Gedanke der Vernunft, daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es
also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei.<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5sym" name="sdfootnote5anc"><sup>5</sup></a></span></span></span><span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><br /></span></span><br />
<br /></div>
<div align="LEFT" class="text-body-indent-western" style="margin-left: 0cm;">
<span style="color: black;">Hegel weiß, dass ohne Festlegung
auf den Glauben an die Vernünftigkeit sich die Geschichte nicht
untersuchen ließe:</span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;">Wenn
man nämlich nicht den Gedanken, die Erkenntnis der Vernunft, schon
mit zur Weltgeschichte bringt, so sollte man wenigstens den festen,
unüberwindlichen Glauben haben, daß Vernunft in derselben ist, und
auch den, daß die Welt der Intelligenz und des selbstbewußten
Wollens nicht dem Zufalle anheimgegeben sei, sondern im Lichte der
sich wissenden Idee sich zeigen müsse.<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote6sym" name="sdfootnote6anc"><sup>6</sup></a></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
Ist das so? Die Denkfigur, dass
Vernünftiges nur Vernünftiges erkennen kann, darf hier nicht
vorschnell angewendet werden. Wenn wir eine Geschichte erzählen, ist
diese zwangsläufig strukturiert durch den Personenbegriff und die
Chronologie (siehe jedes Märchen, und insbesondere 'moderne'
Literatur, die eben mit diesen Zwängen spielt), aber das heißt noch
lange nicht, dass die Weltgeschichte nur im Lichte der sich wissenden
Idee erzählt werden kann. Über historische Personen kann so
gesprochen werden wie über Zeitgenossen, es bedarf nur manchmal mehr
Phantasie. Wenn die Geschichte jenen eisernen Gesetzen folgt, wir
diese aber nicht in uns selbst wiedererkennen, kommt es bei Hegel zu
Trauer:</div>
<div align="LEFT" class="text-body-indent-western" style="line-height: 0.18cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;">Man kann [... ] die Empfindung zur
tiefsten, ratlosesten Trauer steigern, welcher kein versöhnendes
Resultat das Gegengewicht hält, und gegen die wir uns etwa nur
dadurch befestigen, oder dadurch aus ihr heraustreten, indem wir
denken: es ist nun einmal so gewesen; es ist ein Schicksal; es ist
nichts daran zu ändern; und dann, daß wir aus der Langeweile,
welche uns jene Reflexion der Trauer machen könnte, zurück in unser
Lebensgefühl, in die Gegenwart unsrer Zwecke und Interessen, kurz in
die Selbstsucht zurücktreten, welche am ruhigen Ufer steht und von
da aus sicher des fernen Anblicks der verworrenen Trümmermasse
genießt.<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote7sym" name="sdfootnote7anc"><sup>7</sup></a></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;">Die
gegenwärtigen Zwecke dieser normal Sterblichen müssen ihrerseits
nicht verstanden werden als Vollstrecker des Weltgeistes, sondern als
'zurücktreten in die Selbstsucht' primär als etwas, das als solche
keinen Einfluss auf ihn nimmt. Wie kommt es denn, dass die
Protagonisten der Weltgeschichte Menschen sind? Hegels Lösung ist
es, einen Wesensunterschied zu definieren und von 'großen Menschen'
zu sprechen: </span>
</div>
<div align="LEFT" class="text-body-indent-western" style="line-height: 0.18cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;">Dies sind die großen Menschen in
der Geschichte, deren eigne partikulare Zwecke das Substantielle
enthalten, welches Wille des Weltgeistes ist.<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote8sym" name="sdfootnote8anc"><sup>8</sup></a></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;">Dieser
'Wille des Weltgeistes' ist der Aspekt menschlichen Tuns, welcher
sich von der Natur abhebt:</span></div>
<div align="LEFT" class="text-body-indent-western" style="line-height: 0.18cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;">Die Veränderungen in der Natur,
so unendlich mannigfach sie sind, zeigen nur einen Kreislauf, der
sich immer wiederholt; in der Natur geschieht nichts Neues unter der
Sonne, und insofern führt das vielförmige Spiel ihrer Gestaltungen
eine Langeweile mit sich. Nur in den Veränderungen, die auf dem
geistigen Boden vorgehen, kommt Neues hervor.<a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote9sym" name="sdfootnote9anc"><sup>9</sup></a></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;">Hier
zeigt sich klar, wie Hegel nicht versucht, Geist in Kontinuität mit
Natur zu denken, wie es Jonas' Anliegen ist. Die geistigen
Neuerungen, durch 'große Menschen' propagiert, bleiben als Stufen
menschlicher Seinsdeutung Veränderungen in der Natur, und müssen
auch als solche verstanden werden. Eine Naturgeschichte der Freiheit
darf nicht auf die Perspektive des Geistes beharren.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;">Im
Folgenden werde ich Jonas' Erzählung von der Entwicklung der
menschlichen Seinsdeutung nachvollziehen. Als erster Stufe begegnen
wir dem Panvitalismus (oder Animismus) den Jonas zu der Zeit des
Gilgamesh-Epos (12. Jahrhundert v. Chr.) ansiedelt; dann dem
Dualismus der zunächst als praktische Antwort auf die Dichotomie
zwischen dem erwachenden monotheistischen Gott und dem Elend der Welt
auftrat, dann theoretisch als Substanzendualismus bei Descartes;
danach dem Materialismus sowie dem Idealismus (die Jonas als
Verfallsprodukte des Dualismus ansieht).</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;">Wir
können aus einer solchen historischen Betrachtung lernen, insofern
wir die Geschichte immer wieder unvoreingenommen betrachten. Die
Identifikation einer notwendigen Abfolge von Systemen hat eine
Plausibilität für die letztlich unser Selbstverständnis bürgt und
nicht die 'objektive' Geschichte.</span></div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>In
den Worten von Herbert Schnädelbach: „so versuchte Hegel, das
entstehende historische Bewußtsein als das Bewußtsein von
Historischem, das zugleich um seine eigene Historizität weiß, noch
einmal in einen absoluten Historismus oder in eine Philosophie des
selbst historischen Absoluten, der >>Vernunft in der
Geschichte<<. Diese von Hegel beanspruchte Einheit des
Vernünftigen und Historischen, des Systems und der Geschichte
zerfiel notwendig aus Gründen, die sich wesentlich aus der Einsicht
in die unübersteigbare Endlichkeit und Kontingenz unserer Selbst
als zugleich natürlicher, geschichtlicher und vernunftbegabter
Wesen ergeben.“ (Hegel zur Einführung, S. 154f). Zu diesen
Gründen gehören auch die zwei furchtbaren Weltkriegen des 20.
Jahrhunderts, die für Jonas die Absage an Hegel unausweichlich
machten. Jonas beschreibt den Idealismus inklusive Hegelianismus als
'Zerfallprodukt' des Dualismus wie wir unten sehen werden. Er
hingegen will die <i>integrale </i>monistische Ontologie in ihr
Erstlingsrecht setzen. Ob er da recht hat, sei dahingestellt (Siehe:
Rolf-Peter Horstmann, Hegels Ordnung der Dinge. Die 'Phänomenologie
des Geistes' als transzendentalistisches Argument für eine
monistische Ontologie und seine erkenntnistheoretischen
Implikationen. In Hegelstudien 41, 9-50): „Als Hegels
metaphysische Grundidee wird hier seine Überzeugung bezeichnet, daß
nur eine monistische Theorie der Wirklichkeit in der Lage sei, ein
konsistentes Gesamtweltbild zu liefern, welcher weder von
unausweisbaren Annahmen (irgendwelchen sog. 'Fakten') ausgeht noch
zu letztlich unakzeptablen reduktionistischen Konsequenzen führt
(durch Privilegierung irgendwelcher einseitigen Gesichtspunkte wie
etwa der Forderung nach einem naturalistischen Weltmodell)“ (S.
23). Doch glaube ich dass Jonas' Ablehnung nicht reflexiv, sondern
emotional, ja durch physiologischer Abneigung motiviert ist: der
Gedanke an einen absoluten Geist ist nicht auszuhalten wenn er auch
durch Laufgräben, KZs und Gulags marschiert.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote">
<span style="color: black;"><span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>Materie,
Geist und Schöpfung, S. 64. Das soll aber nicht heißen, dass
diesen Fiktionen die in unserer Zeit von Jonas selbst entwickelte
Philosophie als real gegenüber steht. Vielmehr lehrt uns der Blick
auf die Geschichte der Philosophie ein gesundes Maß an
Bescheidenheit.</span></span></div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Werke
8, S. 173. Vgl. Konrad Utz, Die Notwendigkeit des Zufalls, <i>Hegels
spekulative Dialektik in der »WL«.</i></span></div>
</div>
<div id="sdfootnote4">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4anc" name="sdfootnote4sym">4</a>Natürlich
muss der Geist (das Selbstbewußtsein) auch bei Hegel den 'Zufall'
dulden: er kann sich nicht als das 'Wesen' der Natur ansehen, aber
er hat sich als Körper zu verstehen. Dies bringt gerade die
Dialektik in Gang, die zu Wesenserkenntnis führt. Was ich meine,
ist dass der Stellenwert des Zufalls (des Un-fassbaren) nicht
hinreichend durch die Figur des Dialektischen Fortschritts eingeholt
werden kann, weil sie uns auch <i>erschüttert</i>.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote5">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5anc" name="sdfootnote5sym">5</a>Hegel,
Philosophie der Geschichte, Stuttgart 1961, S. 49.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote6">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote6anc" name="sdfootnote6sym">6</a>Ebd,
S. 50.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote7">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote7anc" name="sdfootnote7sym">7</a>Ebd,
S. 63-4.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote8">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote8anc" name="sdfootnote8sym">8</a>Ebd,
S. 75.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote9">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote9anc" name="sdfootnote9sym">9</a>Ebd.,
S. 105. Man betrachte den krassen Unterschied mit der
Evolutionstheorie. Darwin's <i>Origin of Species</i>
wurde 1859, also 28 Jahre nach Hegels Tod veröffentlicht.</span></div>
</div>
<div class="zemanta-pixie" style="height: 15px; margin-top: 10px;">
<a class="zemanta-pixie-a" href="http://www.zemanta.com/?px" title="Enhanced by Zemanta"><img alt="Enhanced by Zemanta" class="zemanta-pixie-img" src="http://img.zemanta.com/zemified_e.png?x-id=cf6d7307-aa17-4c94-ba28-e4c5b53c85d9" style="border: none; float: right;" /></a></div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-37250317286995011702012-07-30T00:12:00.001-07:002012-07-30T00:29:33.283-07:002 Die historische PerspektiveJonas – so interpretiere ich ihn – begnügt sich nicht damit, eine Theorie der menschlichen Freiheit aus Erfahrungen von Zeitgenossen abzuleiten, sondern auch eine geschichtliche Betrachtung ist für ihn Quelle und Aufgabe ethischen Denkens. Deshalb beschreiben wir in diesem Kapitel einige historische Positionen, die von Jonas zum Teil widerlegt, zum Teil kritisch adoptiert werden. Bevor wir diese Ansätze durchgehen, konzentrieren wir uns erst auf die Frage nach dem Nutzen einer philosophiehistorischen Betrachtung.Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-37133736527029009262012-07-30T00:11:00.003-07:002012-07-30T00:12:30.349-07:002. Teil: Philosophie der FreiheitIn diesem Teil geht es um Jonas' Philosophie der Freiheit. Dabei werde ich mich vor allem beziehen auf die Arbeiten die er zwischen 1950 und 1965 auf Englisch geschrieben hat und die 1973 zuerst in deutscher Sprache erschienen sind1.
Ich werde also den Begriff der Freiheit rekonstruieren, wie er in jener Artikelsammlung (und in den übrigen Texten Jonas' aus dem gleichen Zusammenhang2) gedacht wird. Es bedarf hier einer Rekonstruktion, denn in Jonas' Texten geht es hauptsächlich um das Verstehen des Organischen: er versucht zu zeigen, dass wir die lebendige Natur nicht richtig verstehen können wenn wir sie gemäß dem Paradigma des Materialismus erforschen, oder mit dem Idealismus .
Ein Teil der Aufsätze kreist um die philosophischen Ansätze, die es gegeben hat um das Sein zu ergründen: den Panvitalismus der Frühgeschichte, den Dualismus Descartes', den Idealismus, den Wissenschaftlichen Materialismus. So bilden diese Texte eine kritische Geschichte unseres Verstehens des Organischen, und somit eine Geschichte der menschlichen Seinsdeutung. Diese Geschichte werden wir im ersten Kapitel nacherzählen. Weitere Aufsätze versuchen dem Ergebnis dieser Entwicklung, der Postdualistischen Erstarrung, buchstäblich zu revitalisieren: das Zeugnis des Lebendigen Leibes wieder als ernst zu nehmende Grundlage in die Theorie zu integrieren. Das wird unser Anliegen im zweiten Kapitel sein.Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-36243914683765796892012-07-30T00:09:00.002-07:002012-07-30T00:11:08.891-07:001.6 Zusammenfassung und Überleitung<br />
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Wir haben skizziert was
laut Jonas eine Ethik für die technologische Zivilisation leisten
muss, und wie sie begründet werden kann. Unsere durch die
Technologie veränderte Welt wirft uns in eine neuartige Praxis
hinein, deren Regeln nicht von der tradierten Ethik aufgestellt
werden können. Der Kompass ist die geahnte Gefahr, die zugleich
unser zu bewahrendes Menschenbild aufleuchten lässt. Als Philosoph
will Jonas aber etwas mehr liefern: seine Bemühungen um eine
neuartige Ethik zielen darauf ab, deren absolute Gültigkeit zu
beweisen. Jonas versteht das 'Prinzip Verantwortung' ausdrücklich
als Argument (PV, 10); er will etwas „härteres“ bieten, denn
„was dem Thema einigermaßen gerecht werden soll, muß dem Stahl
und nicht der Watte gleichen.“(ebd.).</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Wir haben in diesem
Kapitel Jonas’ Analyse der Neuartigkeit der Lage nachvollzogen, und
fanden uns logisch dazu gezwungen, die Neuartigkeit als Merkmal
unserer Interpretation zu lesen, also eine hermeneutische
Subjektivierung der Argumentation vorzunehmen:</span></div>
<div align="LEFT" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">α Die
Technologie muss als selbstständiger Fortschrittsprozess (1.1)
interpretiert werden, der die Praxis prädisponiert;</span></div>
<div align="LEFT" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">β Die Praxis
kann nicht länger vernünftig interpretiert werden ohne einen
spezifisch kollektiven Bereich in ihr anzuerkennen (1.2); das
Konzept der kollektiven Handlung muss die Praxis vom Naturgeschehen
abgrenzen.</span></div>
<div align="LEFT" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">γ Die
prinzipielle Orientierungslosigkeit ist ethisch, nicht mehr bloß
metaphysisch (1.3).</span></div>
<div align="LEFT" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">δ Eine
Heuristik der Furcht muss daher zum Gebot werden, und nicht mehr bloß
eine Tugend sein (1.4).</span></div>
<div align="LEFT" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">ε Ein Prinzip
muss ontologisch bewiesen werden, aus dem ethische Gebote für
einzelne Handlungen abgeleitet werden können (1.5). </span>
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Unter welcher Bedingung
können wir von der Neuartigkeit der modernen Lage sprechen? Der
Prozess der Technologie muss sich über eine bestimmte Schwelle
hinaus entwickelt haben, so weit nämlich, dass ihr eine
Eigengesetzlichkeit unterstellt werden muss. Sie steht uns nicht zu
beliebiger Verfügung (das galt schon für das Feuer) – doch die
moderne Technologie kann mit einer solchen Auffassung die Welt nicht
länger befriedigend verstehen.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Unsere Lesart versteht die
Analyse der Technologie und ihrer Folgen also als eine Diagnose des
moralischen Selbstverständnisses. Dieses muss sich mit der
neuartigen Praxis wandeln. Die philosophische Aufgabe ist es, die
beschriebene hermeneutisch prekäre Lage zu durchdenken, um dem
moralischen Selbstverständnis, das sich an die Tatsachen anpassen
muss, prinzipiell einen Vorsprung zu verleihen. Ein festes Prinzip
ist dafür vonnöten.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Meine Interpretation rückt
gerade durch das hermeneutische Vorzeichen das individuelle
Selbstverständnis in den Mittelpunkt, und damit ein anderer Aspekt
des Problems. Einzig in dem Individuum kann es Konflikte zwischen
Verantwortung und Freiheit geben. Es muss geklärt werden, wie diese
Konflikte von Jonas’ Prinzip her gedeutet werden müssen. Dazu muss
erstens Jonas’ </span><span style="font-size: small;"><i>Verständnis von der
menschlichen Freiheit</i></span><span style="font-size: small;"> aufgeklärt werden, und
zweitens die </span><span style="font-size: small;"><i>ontologische Begründung</i></span><span style="font-size: small;">
der Verantwortung nachvollzogen werden.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Jonas hat in seiner
philosophischen Biologie seine Überlegungen über den Begriff der
menschlichen Freiheit dargelegt. Wir werden sehen, dass Jonas’
biologischer Freiheitsbegriff das idealistische Problem der
Verursachung vermeidet, andererseits jedoch nicht dem Reduktionismus
anheim fällt. In gewisser Weise hat Jonas seine Philosophie der
Freiheit aus dem phänomenologischen Grundsatz entwickelt, zu der
Erfahrung zurückzukehren. Dabei macht er es sich nicht zu leicht mit
einer idealistischen Lösung, die alles dem Geist prinzipiell Fremdes
aus ihrer Ontologie bannt</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></span><span style="font-size: small;">,
sondern versucht vom Standpunkt des Materialismus her dem Phänomen
der Freiheit gerecht zu werden. In Teil II werden wir also den
Freiheitsbegriff der Philosophie des Organischen darstellen. Er ist
die anthropologische Grundkoordinate, mit der alle Überlegungen
vereinbar sein müssen. Insbesondere muss er der Ethik zugrunde
gelegt werden; wir werden also in Teil III fragen, ob der in der
Philosophie des Organischen entwickelten Freiheitsbegriff mit dem
ontologischen Beweis im 'Prinzip Verantwortung' kompatibel ist.</span></div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Jonas
sagt, dass ein solcher konsequent durchgeführter Idealismus immer
auf einen Solipsismus hinausläuft. PL, 40-41, Fußnote 2.</span></div>
</div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-36829276496659996342012-07-19T22:00:00.003-07:002012-07-19T22:01:26.158-07:001.5 Ein neues Prinzip?<span style="background-color: white; font-size: small;">Die Heuristik der Furcht
mag der beste Ansatz sein, über den Nahbereich hinaus zu empfinden,
doch damit ist noch kein neues Prinzip gefunden. Hier fragen wir zum
letzten Mal nach der Notwendigkeit von Jonas’
Verantwortungsethischen Projekt. Es </span><span style="background-color: white; font-size: small;"><i>könnte</i></span><span style="background-color: white; font-size: small;">
doch so sein, dass etwa aus der kategorischen Imperativ „Handle so,
daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer
allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.„</span><span style="background-color: white; font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></span><span style="background-color: white; font-size: small;">
folgt, </span><span style="background-color: white; font-size: small;"><i>unter der Voraussetzung </i></span><span style="background-color: white; font-size: small;">dass
das Allgemeine sich nicht mehr auf die Gegenwart beschränkt, sondern
künftige Generationen mit einschließt, dass ich das
Weiterexistieren ‚echten’ menschlichen Lebens (PV, 36) in meinem
Wollen mit einbeziehe. Offenbar ist diese gedankliche Ausweitung des
Allgemeinen für Jonas keine Lösung. Das liegt daran, dass ein
psychologisches Element (bei Kant die Maxime) fehlt. Statt dessen
sind es die </span><span style="background-color: white; font-size: small;"><i>Wirkungen</i></span><span style="background-color: white; font-size: small;">,
die der Einzelne nicht überblicken kann, die bei Jonas der Permanenz
echten menschlichen Lebens nicht widersprechen dürfen. Das Prinzip
von Jonas geht also deutlich über das individualethische Gebot
hinaus.</span><br />
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">An dieser Stelle sei
nochmals bemerkt, dass jede Ethik sich immer an Individuen richten
muss. Jonas würde das natürlich zugeben. In dem ‚Prinzip
Verantwortung’ ging es ihm um den </span><span style="font-size: small;"><i>Beweis</i></span><span style="font-size: small;">
seines Prinzips. Das Problem, wie sich ein Individuum zu dem 'Prinzip
Verantwortung' verhält, wird uns später noch beschäftigen</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></span><span style="font-size: small;">.
Doch auch wenn als Grundlage der neuen Zusatzethik die überlieferten
Prinzipien ausscheiden müssen, bleibt die Frage offen, ob die
Heuristik der Furcht ein zuverlässiger Leitfaden für uns ist. </span>
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Es </span><span style="font-size: small;"><i>könnte</i></span><span style="font-size: small;">
so sein, dass die Reflexion über die neuartigen Phänomene uns keine
neuen Prinzipien verschafft, sondern uns endgültig um jede
Orientierung hilft. Wenn die Furcht gleichzeitig eine Notwendigkeit
ihres Objekts annehmen muss (und das ist eben die Neuartigkeit der
Lage), kann sie leicht in Fatalismus verfallen, und jede Gegenkraft
der Tradition verliert dann ihre Autorität. Die Furcht darf darum
nicht total werden, und um das zu verhindern bedarf es eines
Prinzips, das eben durch diese Furcht gefunden werden muss, jedoch
mit andern Mitteln begründet, denn nicht die Furcht, sondern das
Prinzip muss auf die Ethik der kollektiven Praxis übertragen werden.
Die von Jonas unterstellte – und von uns mit hermeneutischen
Vorzeichen nachvollzogene – Eigenständigkeit der Technologie und
somit der von ihr definierten Praxis nötigt ihn zu einer Begründung
die über die Praxis hinaus reicht. Wenn das schicksalhafte Geschehen
der Technologie die altehrwürdigen Regeln der Praxis, bis hin zu dem
Bild des Menschen, überholen kann, reicht auch eine grundsätzliche
Reflexion über die Praxis nicht mehr aus, zuverlässige Prinzipien
für sie zu definieren. Der endgültig entfesselte Prometheus hat
seine Eigengesetzlichkeit – ihm ist aber an den Menschen nichts
gelegen. Wir können ihn in der Theorie nur bezwingen, so mag Jonas
gedacht haben, indem wir zurückgehen auf das, was uns alle zugrunde
liegt, nämlich auf das Sein. Das neuartige Prinzip bei Jonas kann
folglich nicht anders als ontologisch begründet werden. Wenn die
Technologie unser Dasein gefährden kann, muss im Gegenzug aus dem
Sein selbst eine Pflicht abgeleitet werden, es so weit nicht kommen
zu lassen. Ich habe diese Absicht von Jonas so verstanden, dass die
gesuchte Seinsdeutung immer schon in einer Selbstdeutung eingebettet
ist. Nur daraus können Rechtfertigungsgründe, und folglich auch
Gebote abgeleitet werden: die Sanktion ist das Fehlschlagen der
Selbstdeutung, oder mindestens der Verlust ihres rationalen
Charakters. Die Rolle der Philosophie ist es, eine rationale
Selbstdeutung vorzuschlagen, oder kulturkritisch zu zeigen, dass die
geläufige Selbstdeutung in ihren Konsequenzen nicht rational ist.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Jonas’ neues Prinzip
einer Verantwortung gegenüber der Menschheit als Ganzes </span><span style="font-size: small;"><i>könnte</i></span><span style="font-size: small;">
sich als sinnvoll erweisen, nämlich wenn es das Selbstverständnis
der Individualethik erweitert um jenes Stück, das nötig ist um in
der neuartigen Realität angemessen ethisch argumentieren zu können.
Die </span><span style="font-size: small;"><i>Figur</i></span><span style="font-size: small;"> des
ontologischen Beweises </span><span style="font-size: small;"><i>könnte</i></span><span style="font-size: small;">
sich als sinnvoll erweisen, wenn gezeigt wird, dass sie zu einer
rationalen Selbstdeutung führt, die uns gegen technologischen Hybris
schützt.</span></div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Kant,
Kritik der praktischen Vernunft, §7, A54.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>Siehe
Teil III, wo Jonas' ontologischer Beweis problematisiert wird, und
IV, wo ich versuche, die Ethik aus Jonas' Philosophie der Biologie
zu entwickeln.</span></div>
</div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-529521898241688342012-07-19T21:59:00.002-07:002012-07-19T22:01:12.165-07:001.4 Die "Heuristik der Furcht" als Kompass<span style="background-color: white;">„</span><span style="background-color: white; font-size: small;">Man darf nicht erst die
Aussichten bewerten und daraufhin beschließen, ob man was tun soll
oder nicht. Sondern umgekehrt, man muss die Pflicht und die
Verantwortung erkennen und so handeln, als ob eine Chance da wäre,
sogar, wenn man selber sehr daran zweifelt“</span><span style="background-color: white; font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></span><span style="background-color: white; font-size: small;">
Das sagt Jonas in einem Interview, und es zeigt die Verschiebung von
der hermeneutischen Lage der Ethik, die er sowohl diagnostiziert als
auch befürwortet. Heuristik ist in diesem Fall nicht Kasuistik; es
geht nicht darum, ein Prinzip zu erproben, sondern eins zu finden. Es
scheint merkwürdig, dass wir gerade auf diesen Aspekt seines Denkens
so großen Wert legen, ist doch sein Prinzip Verantwortung sehr klar
ausbuchstabiert</span><span style="background-color: white; font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></span><span style="background-color: white; font-size: small;">.
Gerade in dieser Aufforderung zu einer Heuristik der Furcht liegt
aber das Neuartige seiner Ethik, um das es uns hier in diesem ersten
Anlauf geht. Hier zwingt die Radikalität womit unsere Lebenswelt
sich geändert hat, und die wir als hermeneutische Notwendigkeit des
Begriffs Kollektivhandlung gedeutet haben, zu einer Ergänzung der
Ethik. Erstmals wird aktiver Spürsinn in ethicis zum Gebot</span><span style="background-color: white; font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a></span><span style="background-color: white; font-size: small;">.
Die Prinzipien der Ethik kommen weder von oben, noch können sie aus
reiner Vernunft hergeleitet werden. Streng genommen ist die
hermeneutische Lage also aussichtslos. Was wir von einer Reflexion
auf sie erhoffen können, ist kein fundamentum inconcussum der Ethik,
sondern eine Selbstaufklärung und eine starke Empfehlung an jedes
Vernunftwesen, seine Verantwortung für das Weiterexistieren seiner
Gattung wahrzunehmen.</span><br />
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Doch warum gerade die
</span><span style="font-size: small;"><i>Furcht</i></span><span style="font-size: small;">? Jonas geht
schlichtweg davon aus, dass „es nun einmal [so] mit uns bestellt
[ist]: die Erkennung des </span><span style="font-size: small;"><i>malum</i></span><span style="font-size: small;">
ist uns unendlich leichter als die des </span><span style="font-size: small;"><i>bonum</i></span><span style="font-size: small;">;
sie ist unmittelbarer, zwingender, viel weniger
Meinungsverschiedenheiten ausgesetzt und vor allem ungesucht: die
bloße Gegenwart des Schlimmen drängt sie uns auf, während das Gute
unauffällig da sein und ohne Reflexion (zu der wir besonderen Anlaß
haben müssen) unerkannt bleiben kann.“ (PV, 63-64). Er macht also
eine bestimmte anthropologische Annahme, die uns erst den Leitfaden
verschaffen kann, den wir brauchen um uns überhaupt ethisch zu der
Zukunft unserer Gattung verhalten zu können. Diese Annahme könnte
natürlich falsch sein, und es könnte so sein, dass Furcht, Jonas’
eigenen Erläuterungen zum Trotz, in Ängstlichkeit verkehrt und das
Gegenteil bewirkt von dem, wofür wir sie einsetzen wollen, nämlich
die Selbstvernichtung statt der Selbstauslegung. Außerdem geht es
bei der Heuristik der Furcht nicht um ‚die bloße Gegenwart des
Schlimmen’, sondern muss diese durch ‚wohlinformierte
Gedankenexperimente’ (PV, 67) erst vorgestellt werden. Jonas denkt
hier an Aldous Huxley’s ‚Brave New World’.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Dass Jonas recht hat,
indem er auf die Furcht setzt, können wir hier nur unterstellen. Da
es uns hier nur um die Neuartigkeit der Zusatzethik für die
technologische Zivilisation geht, können wir diese Frage auf sich
beruhen lassen. Aus der Perspektive unserer Lesart der Selbstdeutung
lässt sich der Leitfaden der Furcht erklären. Furcht ist die
Anstrengung, eine zukünftig vorgestellte Situation als
Verschlimmerung der heutigen zu interpretieren. Die Heuristik der
Furcht beginnt mit diesem Vorstellen einer furchtbaren Zukunft. Diese
Anstrengung fragt nach unserem positiven Wert, den sie Bewahren will.
Offenbar ist das für die Selbstinterpretation günstiger als der
umgekehrte Vorgang, nämlich der Gedanke der Utopie</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4sym" name="sdfootnote4anc"><sup>4</sup></a></span><span style="font-size: small;">.
Wo die Utopie sich auf den Aspekt der Verbesserbarkeit konzentriert,
rückt die Heuristik der Furcht das zu Bewahrende in den Vordergrund.
Natürlich muss jede Utopie sich in Kontinuität mit der Gegenwart
denken, und jeden vorgestellten Garten Eden mit Wesen bevölkern die
wir Heutige gerne sein möchten – doch dieses vage Wunschbild
genügt nicht mehr in einer Zeit wo die Entscheidungsfähigkeit des
Menschen eine sorgfältig gehegte Illusion ist. Für die klassische
Utopie galt, egal wie vollständig sie sich realisieren würde, dass
der Mensch und seine Bedürfnisse ein konstanter Faktor waren. Der
modernen Utopie fehlt es an dieser Grundsicherheit. Durch die
Eigengesetzlichkeit der Technologie und die kollektive Praxis ist die
Selbstverständlichkeit, dass es letztlich doch um </span><span style="font-size: small;"><i>den</i></span><span style="font-size: small;">
Menschen geht, in Frage gestellt. Wir gelingen, laut Jonas, nur zu
ihr zurück, indem wir uns aktiv mit Unheilsprophezeiungen befassen:</span></div>
<div class="text-body-indent-western">
„Erst die vorausgesehene
Verzerrung des Menschen verhilft uns zu dem davor zu bewahrenden
Begriff des Menschen.“ (PV, 8)
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Die Heuristik der Furcht
verstehe ich also als die Art und Weise, durch etwas, das wir von uns
selbst sehr gut verstehen, nämlich die Emotion der Furcht, einen
Zugang zu etwas zu gewinnen, was wir leicht verkennen könnten,
nämlich zu dem zu bewahrenden Begriff des Menschen</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5sym" name="sdfootnote5anc"><sup>5</sup></a></span><span style="font-size: small;">.</span></div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Dem
bösen Ende näher, S. 23.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>„Handle
so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der
Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“, oder „Schließe
in deine gegenwärtige Wahl die zukünftige Integrität des Menschen
als Mit-Gegenstand deines Wollens ein.“ (PV, 36).</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Etwa
zwanzig Jahren vor Jonas schrieb Günther Anders in dem ersten Band
der ‚Antiquiertheit des Menschen’, dass unser Zeitalter durch
die Unfähigkeit zur Angst bestimmt ist (S. 264). Obwohl es Anders
einzig geht um die Apokalypse und unsere Blindheit vor ihr, und
nicht um die schleichende und größere Gefahr eines langsamen
Verschwimmens der Menschheit (was Jonas bei einer weniger
wohlwollenden Lesung auch vorgeworfen werden kann), ist seine
Intuition wertvoll. Wenn Anders schreibt, dass Roosevelt in seinem
Katalog der Freiheiten statt „Freedom from Fear“ „Freedom to
Fear“ aufnehmen müsste (S. 266) und die Förderung der
moralischen Phantasie (S. 273) befürwortet, nimmt er Jonas’
Heuristik der Furcht vorweg. „Wenn es unser Schicksal ist, in
einer (von uns selbst hergestellten) Welt zu leben, die sich durch
ihr Übermaß unserer Vorstellung und unserem Fühlen entzieht und
uns dadurch tödlich gefährdet, dann haben wir zu versuchen, dieses
Übermaß <i>einzuholen</i>„ (S. 274).</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote4">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a href="http://hans-jonas.blogspot.com/" name="Bloch Hoffung"></a><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4anc" name="sdfootnote4sym">4</a>Jonas
hat sich ausführlich mit dem Utopiegedanken auseinander gesetzt,
wie er sie in den Schriften von Ernst Bloch fand. Dass er Bloch zu
Recht Unverantwortlichkeit vorwirft, lässt sich anhand des Kapitels
„Wille und Natur, die technische Utopien“ in ‚Das Prinzip
Hoffnung’ nachvollziehen. Für Bloch steht die Natur uns
<i>prinzipiell </i>zur Verfügung: „Natur ist kein Vorbei, sondern
<i>der noch nicht geräumte Bauplatz, das noch gar nicht adäquat
vorhandene Bauzeug, für das noch gar nicht adäquat vorhandene
menschliche Haus</i>. Die Fähigkeit des problemhaften
Natursubjekts, dieses Haus mitzubilden, ist eben das
objektiv-utopische Korrelat der human-utopischen Phantasie, als
einer konkreten“ (S. 807). Zwar spricht Bloch von einer
‚Verhäßlichung’ durch die ‚Maschinenwelt’ (S. 808), jedoch
schreibt er die Schuld dafür einzig dem Kapitalismus zu, wegen dem
„<i>schlecht vermittelten, abstrakten Verhältnis der Menschen zum
Materiellen Substrat ihres Handelns“. </i>Umgekehrt führe das
„zwischenmenschliche Konkretwerden, das ist, soziale Revolution“
(S. 813) von selbst zur Lösung aller Probleme die die Technik
verursacht. „Ebenso wird die blinde, katastrophenhaltige
Notwendigkeit im sozialen wie psychischem Gebiet durch Vermittlung
mit den Produktivkräften hier wie dort gebrochen. Hier, indem dies
Menschen Herren ihrer eigenen Vergesellschaftung werden, das heißt
mit sich vermittelt als erzeugendem Subjekt der Geschichte; dort,
indem wachsende Vermittlung mit dem bisher dunklen <i>Erzeugungs-
und Bedingungsgrund</i> der Naturgestze geschieht“ (S. 816). Der
<i>prima facie </i>Glaube an diese Vermittlung unterscheidet ihn von
Jonas. Es ist von Bloch nicht zu erwarten, dass er ein
Problembewusstsein im Bereich Technikfolgen entwickelt, wenn er
spricht von dem „Einbau der Menschen (sobald sie mit sich sozial
vermittelt worden sind) in die Natur (sobald die Technik mit der
Natur vermittelt worden ist.) Verwandlung und Selbstverwandlung der
Dinge zu Gütern, natura naturans und supernatura statt natura
dominata: <i>Das also meinen die Grundrisse einer besseren Welt, was
konkrete Technik angeht.“ </i>(S. 817)<i>.</i> Jonas hat völlig
recht, wenn er den Utopismus dadurch kritisiert, dass es ihm
<i>prinzipiell</i> schwerer ist als die Ethik der Verantwortung, die
Grenzen des Fortschritts zu denken, bevor es zu spät ist (PV,
327ff, hier 330).</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote5">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5anc" name="sdfootnote5sym">5</a>Die
Bemerkung, Jonas’ Kritik sei voreilig, und die Hoffnung würde
‚völlig außer Kraft gesetzt’ (Höffe, Moral als Preis der
Moderne, S. 88) wird Jonas nicht gerecht. Jonas kritisiert die
ungehemmte Hoffnung, und muss deshalb eine der Hoffnung
vorausgehenden Pflicht formulieren, so in mehreren Interviews (Dem
bösen Ende näher, S. 23, S. 39, S. 83). Es kommt ihm darauf an,
die <i>Möglichkeit</i> der Hoffnung zu bewahren.</span></div>
</div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-22398594260560156352012-07-19T21:55:00.001-07:002012-07-19T21:55:22.441-07:001.3 Das Versagen bisheriger Ethik<span style="background-color: white; font-size: small;">Bei alledem </span><span style="background-color: white; font-size: small;"><i>könnte
</i></span><span style="background-color: white; font-size: small;">es doch so sein, dass die tradierte Ethik der
Lage gerecht werden kann, wenn sie sich </span><span style="background-color: white; font-size: small;"><i>von
innen aus </i></span><span style="background-color: white; font-size: small;">konsequent weiterentwickelt, und
ihr also kein neuartiges Prinzip </span><span style="background-color: white; font-size: small;"><i>von außen</i></span><span style="background-color: white; font-size: small;">
hinzugefügt werden müsste. Jonas muss zeigen, dass der traditierten
Ethik etwas grundsätzliches felht. Um dies nachzuvollziehen,
beginnen wir bei Jonas’ Charakterisierung von ‚aller bisherigen
Ethik’.</span><br />
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Die tradierte Ethik bezog
sich nur auf den zwischenmenschlichen Bereich des Handelns; der ganze
Bereich der Technik war ‚ethisch neutral’. Jonas erklärt das
dadurch, dass die Natur als eine in ihrer Integrität nicht zu
schadende Ordnung im Ganzen verstanden wurde, die natürliche
Voraussetzung für jede Ethik war, aber worauf ethische Ge- und
Verbote sich umgekehrt nicht beziehen konnten. Da die Ziele der
</span><span style="font-size: small;"><i>t</i></span><span style="font-size: small;"><i>echne</i></span><span style="font-size: small;">
außerhalb ihrer lagen, mussten sie nicht bei der ethischen
Beurteilung veranschlagt werden. „Wirkung auf nichtmenschliche
Objekte bildete keinen Bereich ethischer Bedeutsamkeit“ (PV, 22).
Außer der konstanten Natur war auch der Mensch eine unveränderliche
Größe, und nicht selbst Objekt der Technik. Auch hier konnte die
Technik nicht an das Wesen des Zwischenmenschlichen rütteln.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<a href="http://hans-jonas.blogspot.com/" name="__DdeLink__89_1570981052"></a><span style="font-size: small;">Jonas
erwähnt als weiteres Charakteristikum der bisherigen Ethik die
zeitliche sowie räumliche Nähe zu ihrem Gegenstand. Zeitlich, weil
Maxime sich immer nur auf Zeitgenossen beziehen: „In all diesen
Maximen [sind] der Handelnde und der „Andere“ seines Handelns
Teilhaber einer gemeinsamen Gegenwart.“ (PV, 23). Räumlich, weil
eine Handlung keine Fernwirkungen haben konnte, bzw. diese das
</span><span style="font-size: small;"><i>ethische</i></span><span style="font-size: small;">
Selbstverständnis nicht beeinträchtigen konnten. Ich kann Ethik
verstehen als eine Regelung für Handlungen in meinem Nahbereich,
auch wenn diesen Bereich durch die Handlung eines weit entfernten
bösen Tyranns beeinflusst wird. An den Begriff der Sittlichkeit
vermochte dieser Tyrann nicht zu rütteln. „Alle Sittlichkeit war
auf diesen Nahkreis des Handelns eingestellt.“ (PV, 23). Dadurch
reichte die moralische Intuition, um zu bestimmen, was richtig war,
wie Jonas mit Bezug auf Kant feststellt</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></span><span style="font-size: small;">.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Dass gegenwärtig
prinzipiell andere Anforderungen an eine Ethik gestellt werden, haben
wir oben dargestellt. Doch es </span><span style="font-size: small;"><i>könnte</i></span><span style="font-size: small;">
so sein, dass die bisherige Ethik diese auf </span><span style="font-size: small;"><i>ihre</i></span><span style="font-size: small;">
Weise bewältigen kann. Dass in den überlieferten Schriften zur
Ethik nicht über Fernwirkungen und sittlichen Eigenwert
nichtmenschlicher Gegenstände gesprochen wird, könnte einfach daran
liegen, dass es dazu schlicht keinen Anlass gab.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Ich glaube, Jonas meint
einen tiefer greifenden Grund für das Versagen bisheriger Ethik, und
der hat etwas mit einer </span><span style="font-size: small;"><i>prinzipiellen</i></span><span style="font-size: small;">
Orientierungslosigkeit zu tun. Diese Orientierungslosigkeit ist die
Unfähigkeit, </span><span style="font-size: small;"><i>letzte</i></span><span style="font-size: small;">
Fragen zu beantworten. Die letzte Frage ist für Jonas die Frage nach
dem Vorrang des Seins über das Nichts (PV, 100), oder als zu
beweisender Imperativ formuliert‚ der Satz, ‚dass eine Menschheit
sei’ (PV, 91). Diese Orientierungslosigkeit spielte in der
neuzeitlichen Aufklärung eine methodische Rolle, nämlich als
Verzweiflung (so bei Descartes). Für die praktische Philosophie
hatte diese Frage keine Bedeutung. Als in der Neuzeit aber die
technischen Voraussetzungen zur Selbstzerstörung der Menschheit
erfüllt wurden, änderte sich laut Jonas etwas Wesentliches. Unser
Handeln konnte Einfluss nehmen auf die Bedingungen der Ethik, und
ihren Geltungsgrund somit untergraben. Das heißt, dass Philosophen,
die die Ethik begründen wollen, auf eine </span><span style="font-size: small;"><i>ontologische</i></span><span style="font-size: small;">
Begründung angewiesen sind. Daraus, dass menschliches Tun seine
eigene Existenz zunichte machen kann, „ergibt sich, daß das erste
Prinzip einer ‚Zukünftigkeitsethik’ nicht selber </span><span style="font-size: small;"><i>in
</i></span><span style="font-size: small;">der Ethik liegt als einer Lehre vom Tun
(wohin im Übrigen alle Pflichten gegen die Zukünftigen gehören),
sondern in der </span><span style="font-size: small;"><i>Metaphysik</i></span><span style="font-size: small;">
als einer Lehre vom Sein, wovon die Idee des Menschen ein Teil ist
(PV, 92).</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Jonas gibt zu, dass er es
sich mit diesem Weg besonders schwer macht, indem er gegen eine
Grundüberzeugung der Moderne verstößt: er muss sich den Einwand
eines naturalistischen Fehlschlusses gefallen lassen. Er will aus der
Tatsache, dass etwas (nämlich die Menschheit) in bestimmter Weise
</span><span style="font-size: small;"><i>ist,</i></span><span style="font-size: small;"> ableiten, dass
sie sein </span><span style="font-size: small;"><i>soll</i></span><span style="font-size: small;">. Anders
ausgedrückt, ein ‚Seinsollen’ der Welt muss nachgewiesen werden
um die Ethik zu begründen. Nun ist eine solche ontologische Annahme
nicht strikt notwendig (man widerspricht sich nicht, wenn man aus
Prinzipiensparsamkeit das Wollen und das Sollen vollständig
subjektiviert). Es geht Jonas aber auch darum, einen Schritt weiter
zu tun als die Logik. Logische Gründe allein können die Ethik nicht
von ihrer Orientierungslosigkeit befreien</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></span><span style="font-size: small;">,
denn logisch gesehen besteht kein Widerspruch in der Selbstaufhebung
der Menschheit</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a></span><span style="font-size: small;">.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Dass eine metaphysische
Begründung schlagkräftiger ist, scheint mir, gegeben die historisch
gewachsene Metaphysikfeindlichkeit unserer Zeit aber auch unsicher.
Daher schlage ich vor, Jonas’ metaphysische Argumentation als einen
</span><span style="font-size: small;"><i>Versuch über das Selbstverständnis </i></span><span style="font-size: small;">des
Menschen im technologischen Zeitalter zu interpretieren. Ausgehend
von der </span><span style="font-size: small;"><i>empirischen</i></span><span style="font-size: small;">
Beobachtung der hermeneutischen Notwendigkeit des Begriffs der
kollektiven Handlung (siehe 1.2), von einer Änderung eines Aspektes
der Selbstinterpretation also, tut eine Reflexion über das
Selbstverständnis</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4sym" name="sdfootnote4anc"><sup>4</sup></a></span><span style="font-size: small;">
überhaupt Not. Anstatt von einer metaphysischen Begründung der
Ethik zu reden, möchte ich Jonas’ Beweis als einen Versuch
interpretieren, das unaufhaltsam wandelnde praktische
Selbstverständnis des Menschen mit der Vernunft in Einklang zu
bringen. Gegen der positivistischen Auffassung, dass Ethik
letztendlich auf willkürliche Annahmen basiert, und die Vernunft
daher in ihr nicht ihre Vollendung finden kann, möchte ich durch
eine Interpretation von Jonas’ Wertontologie zeigen, dass unser
Selbstverständnis als Vernunftwesen durch einen </span><span style="font-size: small;"><i>gewissen</i></span><span style="font-size: small;">
Begriff von objektiven Zwecken gefördert wird. Dadurch, dass ich
Jonas’ ontologische Argumente unter den anthropologischen Vorbehalt
stelle, und sie so als ein für unsere Zeit angemessenes
</span><span style="font-size: small;"><i>Selbstverständnis</i></span><span style="font-size: small;">
deute, gebe ich den Anspruch auf Letztbegründung auf. Eine
Beschreibung eines angemessenen Selbstverständnisses kann
bestenfalls eine Empfehlung sein. Statt als einer ontologischen
Letztbegründung, die sich leicht ins Abstrakte verlieren kann,
möchte ich Jonas’ philosophische Ethik wiedergeben als ein
Inventar guter Gründe für die Pflicht zur Verantwortung. Dieses
Inventar muss aber möglichst vollständig sein. Darum muss
dargestellt werden, was die möglichen </span><span style="font-size: small;"><i>Ursachen
</i></span><span style="font-size: small;">für Gründe sind. Gründe sind eine
bestimmte Art Interpretationen von Sachverhalten. Mit anderen Worten:
die hermeneutische Lage des modernen Menschen muss – im Sinne
Jonas’ Philosophie – geklärt werden. Nun war Jonas’
Beobachtung die der prinzipiellen Orientierungslosigkeit der Ethik.
Das Neuartige daran ist, </span><span style="font-size: small;"><i>dass sich die Ethik
dessen bewusst werden muss</i></span><span style="font-size: small;">. Eine </span><span style="font-size: small;"><i>prinzipielle</i></span><span style="font-size: small;">
Orientierungslosigkeit gab es nur in der Metaphysik, nicht in der
Ethik. Ethik konnte sich entwickeln unter der Voraussetzung, dass
Sein besser ist als Nicht-sein. Wenn sie aber mit derart
grundsätzlichen praktischen Möglichkeiten konfrontiert wird, fehlen
ihr die Worte, da sie es nicht gewohnt ist, zu verzweifeln.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Die methodische
Verzweiflung in der Ethik ist also die Antwort auf die prinzipielle
Orientierungslosigkeit. Sie kann keine absolute Vergewisserung
leisten, aber wenigstens die Ethik davor behüten, Spielball eines
Wertnihilismus zu werden, der die Vernunft auf seiner Seite ahnt.
Diese methodische Verzweiflung kann aber nicht das logische
Nachdenken über Sein oder Nichtsein beinhalten, sondern muss von
einem konkreten Gefühl gespeist werden. Für Jonas ist das die
</span><span style="font-size: small;"><i>Furcht</i></span><span style="font-size: small;">:</span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="font-size: x-small;">Und je weiter noch
in der Zukunft, je entfernter vom eigenen Wohl und Wehe und je
unvertrauter in seiner Art das zu Fürchtende ist, desto mehr müssen
Hellsicht der Einbildungskraft und Empfindlichkeit des Gefühls
geflissentlich dafür mobilisiert werden: eine aufspürende </span><span style="font-size: x-small;"><i>Heuristik</i></span><span style="font-size: x-small;">
der Furcht wird nötig, die nicht nur ihr das neuartige Objekt
überhaupt entdeckt und darstellt, sondern sogar das davon (und nie
vorher) angerufene, besondere sittliche Interesse erst mit sich
selbst bekannt macht. (PV, 392)</span><br />
<br /></div>
<div class="text-body-indent-western" style="margin-left: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Wir
wenden uns jetzt dieser Heuristik der Furcht zu.</span></div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Kant
ging so weit zu sagen, dass „die menschliche Vernunft im
Moralischen selbst beim gemeinsten Verstande leicht zu großer
Richtigkeit und Ausführlichkeit gebracht werden kann.“
(Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Vorrede, zitiert nach PV,
24)</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>Siehe
PV, 149.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Vittorio
Hösle bringt im Kern dieses Argument gegen die Diskursethik ein in
seinem Buch „Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der
Philosophie“. Seine Lösung ist eine Verbindung der
Diskursphilosophie mit dem objektiven Idealismus. Ich versuche,
Jonas mit hermeneutischer Bescheidenheit zu lesen, und das
ontologische Argument in ein Argument für ein vernünftigeres
Selbstverständnis umzumünzen.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote4">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4anc" name="sdfootnote4sym">4</a>Den
Terminus „kollektives Selbstverständnis“ möchte ich bewusst
vermeiden. Anders als bei der Unterstellung einer kollektiven
Handlung, die wie andere Handlungen durch ihre Folgen identifiziert
werden kann, müsste hier eine Substanz unterstellt werden die wenig
erklärt, vor allem weil dadurch leicht übersehen wird, dass
<i>Selbst</i>verständnis nur eine <i>individuelle</i> Leistung sein
kann.</span></div>
</div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-55581482517206221102012-07-19T20:17:00.000-07:002012-12-11T22:57:11.016-08:001.2 Die neuartige kollektive PraxisWir haben vorher gesehen, dass Technologie als Prozess eine Eigengesetzlichkeit hat. Es ist für eine ethische Theoriebildung wichtig, diese anzuerkennen, jedoch kann
sie nur als Rahmenbedingung, und niemals als Prämisse in einem ethischen Syllogismus funktionieren. Aus der Tatsache, dass eine bestimmte Produktionsrate eingehalten werden kann, folgt noch nicht, dass es in moralischem Sinne Pflicht sei, dies zu tun. Damit zusammenhängend ist auch die These zu stark, dass individuelles Handeln (in einigen Aspekten) erschöpfend von der Technologie determiniert wird (die Sachzwangthese)<span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></span><span style="font-size: small;">.</span><br />
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Jonas weist hin auf die
„kollektive Täter und die kollektive Tat“ (PV, 32) die eine
Rolle spielen soll in dem neuartigen ethischen Bereich. Er hat, wie
wir vorhin sahen, dargestellt, dass die Technik sich nicht nur
quantitativ geändert hat, sondern dass ihr </span><span style="font-size: small;"><i>Wesen</i></span><span style="font-size: small;">
sich gewandelt hat. Wir haben diese Neuartigkeit als die Weise
verstanden, worauf sie die Praxis beansprucht.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Es tut für Jonas’
Zwecke nicht zur Sache, ob man die historische Trennlinie bei der
ersten oder der zweiten industriellen Revolution legt; wichtig ist,
dass er in einem zweiten Schritt nachweist, dass das Aufkommen der
Technologie im Sinne der oben besprochenen Verselbständigung der
Technik, auch eine </span><span style="font-size: small;"><i>qualitativ</i></span><span style="font-size: small;">
veränderte </span><span style="font-size: small;"><i>Praxis</i></span><span style="font-size: small;">
impliziert. Denn es </span><span style="font-size: small;"><i>könnte</i></span><span style="font-size: small;">
so sein, dass die neuen Bedingungen des Handelns das Wesen der Praxis
nicht ändern. Dass wir viel mehr Macht haben (PV, 59), dass viel
mehr in unsere Macht gekommen ist, und wir viel mehr davon Missbrauch
machen können ist an sich noch keine qualitative Änderung der
Praxis. Das Wesen der Ausübung der Macht müsste sich ändern. An
dieser Stelle kann die Antwort natürlich nicht sein, dass eben „das
Übermaß an Macht [...] dem Menschen diese Pflicht auferlegt.“
(TME, 47). Eine neuartige Pflicht zur Verantwortung müsste
nachgewiesen werden, und darf daher nicht vorausgesetzt werden. Das
Ausüben der Macht muss in einem anderen Sinne neuartig sein. Jonas
selbst weist auf „die innere Mehrdeutigkeit des technischen Tuns“
(TME, 43), auf die Zwangsläufigkeit der Anwendung (TME, 44), und die
schlichte Größe der Ausmaße in Raum und Zeit (TME, 45) hin. Mir
scheint das in der Tat eine neue Qualität zu sein. Unter bestimmten
Voraussetzungen, denn an sich sind diese Merkmale schon mit dem
Anfang der technischen (noch nicht technologischen) Praxis gegeben.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Ich interpretiere Jonas’
Beobachtungen als eine qualitative Änderung in der Ausübung der
Macht. Die Macht, die wir ausüben ist nicht mehr eindeutig ‚unsere’
Macht. Als es die moderne Technologie noch nicht gab, konnten
sämtliche Folgen einer individuellen Handlung als Folgen ebendieser
Handlung identifiziert werden. Natürlich gab es auch unabsehbare
Folgen, aber diese konnten als Naturgeschehen ausgelegt werden, weil
die Auswirkungen der menschlichen Freiheit sich leicht davon
abgrenzen ließen. Gedanklich war die Ausübung der Macht von dem
Weltgeschehen abzugrenzen. Das heißt: indem man den
Handlungszusammenhang so interpretierte geriet man nicht in
Widerspruch mit seiner </span><span style="font-size: small;"><i>Welterfahrung</i></span><span style="font-size: small;">,
da das Reich der Freiheit und jenes der Notwendigkeit sich klar
unterscheiden ließen.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">In der modernen
Technologie nun, so verstehe ich Jonas’ Charakterisierung der
Neuartigkeit, sei dies nicht mehr möglich. Ein </span><span style="font-size: small;"><i>notwendiger</i></span><span style="font-size: small;">
Faktor in unserer Weltauslegung ist die kollektive Praxis. Ein
kollektives Subjekt</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></span><span style="font-size: small;">
müsste dann unterstellt werden, wenn sehr viele Individuen handeln,
die Handlungsfolgen aber von ihnen getrennt sind, d.h. nicht mehr
reflexiv nachvollzogen werden können als Folgen der jeweils
individuellen Tat. Ein gutes Beispiel dafür ist die Emission von
Treibhausgasen und der Klimawandel. Diese kann nicht auf einzelne
Verursacher zurückgeführt werden, noch als Naturgeschehen
interpretiert werden, ohne die Welterfahrung selbst zu erschüttern.
Dies wird hier kurz angedeutet, um die von Jonas beobachtete
Neuartigkeit nachvollziehen zu können. Die Annahme, unter der sie
gilt, ist dass Individuen, die allein Adressat einer neuen Theorie
der Verantwortung sein können, zwangsläufig für ihre Weltauslegung
den Begriff eines kollektives Subjekts benötigen. Jonas selbst
spricht von der ‚Zwangsläufigkeit der Anwendung“ neuer Technik
(TME, 44). Ich möchte hier interpretativ ergänzen, dass es geht um
die Tatsache, dass jene Zwangsläufigkeit in dem Technologiezeitalter
erstmals </span><span style="font-size: small;"><i>bewusst</i></span><span style="font-size: small;">
geworden ist. Das Neuartige der Praxis ist, dass Individuen erstmals
ihre Welt so interpretieren müssen, dass ein Kollektivsubjekt darin
handelt. Wir </span><span style="font-size: small;"><i>müssen</i></span><span style="font-size: small;">
erstmals unser Handeln als Teil einer kollektiven Handlung
interpretieren, die ihrerseits von dem Naturgeschehen abgegrenzt
werden kann. </span>
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Für Jonas selbst ist die
Neuartigkeit der kollektiven Praxis bekanntlich Ausgangsthese seines
Hauptwerkes:</span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="font-size: x-small;">Das Zutreffen der
Voraussetzungen, nämlich daß das kollektiv-kumulativ-technologische
Handeln nach Gegenständen und Abmaßen </span><span style="font-size: x-small;"><i>neuartig</i></span><span style="font-size: x-small;">
und daß es nach seinen, von allen direkten Absichten unabhängigen,
Wirkungen ethisch nicht mehr </span><span style="font-size: x-small;"><i>neutral </i></span><span style="font-size: x-small;">ist,
haben wir im Vorangegangenen gezeigt. Damit aber fängt die Aufgabe,
nämlich nach einer Antwort zu suchen, eigentlich erst an. (PV, 58).</span></div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Ebd.,
S. 194.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>Ich
möchte das ‚kollektive Subjekt’ nicht als suprapersonale
Substanz, sondern als <i>hermeneutisch </i>notwendiger Aspekt der
<i>individuellen</i> Weltauslegung verstehen. </span></div>
</div>
Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-46727947451236682632012-07-19T20:15:00.000-07:002012-07-19T20:15:14.456-07:001.1.3 Der Mensch als Objekt moderner Technik<br />
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Noch eine weitere
Neuartigkeit muss hier angedeutet werden. In der Biotechnologie wird
der Mensch erstmals selbst zum Gegenstand der Technik. Im Falle der
</span><span style="font-size: small;"><i>positiven</i></span><span style="font-size: small;"> Eugenik kann
der Mensch, also das Subjekt der Technologie, sogar „direktes
Objekt seiner eigenen Baukunst“ sein (TME, 164). Hier ist die
formale Entwicklung auf Material gestoßen, das ihre eigenen
Voraussetzungen erschüttert. Das Subjekt der Technologie selbst
verflüssigt. Jonas ahnte schon, was jetzt Wirklichkeit ist, nämlich
dass wir, wenn wir ‚den Text’ des menschlichen Genoms kennen, uns
„daran machen können, den Text umzuschreiben“ (TME, 39). Es
fehlt uns aber die Anleitung dafür. Wir haben kein ‚Leitbild’</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a>.</span><span style="font-size: small;">
Abgesehen von den hochkomplizierten technischen Voraussetzungen,
wurde dies vorbereitet durch die ‚metaphysische Neutralisierung des
Menschen’ (ebd.): „die Biotechnologie hat uns eines gültigen
Menschenbildes beraubt, da alles indifferent aus Zufall und
Notwendigkeit entstand.“ (ebd)</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></span><span style="font-size: small;">.
Eine Besinnung auf das Bild des Menschen wird also um so dringlicher
durch diese Revolution, sie war es wohlgemerkt jedoch schon seit der
Verselbständigung der Technologie überhaupt. Hier sei schon
vorweggenommen, dass für Jonas eine Ethik die diesen Entwicklungen
gerecht werden soll</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a></span><span style="font-size: small;">,
nicht formal bleiben kann, sondern ein gültiges, materiales Bild des
Menschen</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4sym" name="sdfootnote4anc"><sup>4</sup></a></span><span style="font-size: small;">
enthalten soll.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Die Praxis ist hier also
auf unüberbietbare Weise herausgefordert. Die Möglichkeit, dass
sie, über die Technologie, ihre eigenen Subjekte entwerfen könnte,
ist unerhört. Die Neuartigkeit dieses Tatbestandes muss kaum noch
nachgewiesen werden. Auch wenn wir ‚die Natur’ des Menschen
theoretisch ausweiten und dadurch geringere gen-technische Eingriffe
so konzipieren, dass sie diese nicht verändern</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5sym" name="sdfootnote5anc"><sup>5</sup></a></span><span style="font-size: small;">,
handelt es sich hier sicherlich um eine Neuartigkeit. Die Fragen nach
dem </span><span style="font-size: small;"><i>Nutzen</i></span><span style="font-size: small;"> von
positiver Eugenik die sich – schon vor-ethisch – stellen,
unterscheiden sich qualitativ von bisherigen Nutzenfragen, da auch
das ‚für wen’ des Nutzens machbar geworden ist.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Hier ist nicht der Ort,
uns mit der aktuellen Debatte über die Biotechnologie auseinander zu
setzen</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote6sym" name="sdfootnote6anc"><sup>6</sup></a></span><span style="font-size: small;">.
Es ist hinreichend klar geworden, wie auch diese Technologie, und
schon ihre bloße Möglichkeit, die Praxis auf neuartige Weise
beansprucht.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Die absolute Neuartigkeit
der modernen Technologie ist also ihre (denk- oder deutungs-)
notwendige Eigenständigkeit als ein Prozess, der sich selbst immer
neue Grenzen und Zwecke setzt und setzen muss um diese immer wieder
zu durchbrechen und zu überbieten. Dabei ist sie durch die
Kommunikationstechnologie und den Wettbewerbsdruck allgegenwärtig,
und generieren Zwecke und Mittel sich gegenseitig.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Die hier festgestellten
Merkmale der Technologie verweisen oft schon auf die Praxis. Doch der
Nachweis, dass sie nicht mit er Praxis identisch ist, ist wichtig. In
der Analyse der Technik als Prozess ging es um das Merkmal der
Selbständigkeit, der Unabhängigkeit von ihren Trägern; eine
Techniksoziologie muss immer auch die relative Autonomie der Praxis
analysieren. So schreibt der Technikphilosoph Günter Ropohl: </span>
</div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="font-size: x-small;">Technik kann als
Objektivation sozialer Strukturen und Prozesse verstanden werden; und
Gesellschaft kann als Konstrukt aus technischer Substanz aufgefaßt
werden. Doch auch wenn Technik und Gesellschaft zum soziotechnischen
System verschmelzen, bleiben die technischen und die sozialen
Subsysteme mindestens in analytischer Perspektive unterscheidbar.
Vergesellschaftung der Technik und Technisierung der Gesellschaft
sind Teilansichten soziotechnischer Theoriebildung, für die nicht
bedenkenlos Universalansprüche erhoben werden sollten.</span><span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote7sym" name="sdfootnote7anc"><sup>7</sup></a></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Wenn wir diese analytische
Unterscheidung akzeptieren, lässt sich das Ergebnis dieses
Paragraphen folgendermaßen formulieren: Die Neuartigkeit der
Technologie, die sich in der Praxis zeigt, ist die Art und Weise
worauf sie die Praxis prädisponiert.</span><br />
<hr />
<span style="font-size: x-small;"><br /></span></div>
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Hier
ist die Präformierung der Praxis schwer von ethischen Überlegungen
zu trennen. Jonas verstand die Analyse des Fortschrittsgedankens
nicht als Bewertung; das Fehlen eines Leitbildes ist aber schon ein
Argument für Behutsamkeit in Sachen Biotechnologie.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>Siehe
auch J. Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur, S. 73: „Das
ethische Neuland besteht in der Verunsicherung der
Gattungsidentität.“ Habermas sieht dadurch den Unterschied
zwischen Naturschicksal und Sozialisationsschicksal verwischen (S.
103), eine Voraussetzung für die Erfahrung von Freiheit. Die
positive Eugenik verletzt die menschliche Freiheit zudem dadurch,
dass sie Abhängigkeiten zwischen Generationen herstellt, die
prinzipiell nicht reversibel sind. Ein Klon kann die von anderen
intendierten Eigenschaften nicht retrospektiv ausgleichen. (S. 107).
Das Argument von Habermas lautet demnach, dass durch die positive
Eugenik den Zukünftigen die Möglichkeit einer symmetrischen
Beziehung genommen wird (S. 112). Die unumkehrbare soziale
Abhängigkeit eines Klons ist so fremdartig, dass das
gattungsethische Selbstverständnis auf dem Spiel steht (S. 112).
Wir wissen, dass Jonas dieses Argument nicht bringen kann: aus
seiner ontologischen Perspektive betrachtet, ist gerade die
assymetrische Beziehung zwischen Menschen, paradigmatisch in der
Eltern-Kind-Beziehung, fundamental. Für ihn ist das Fehlen
jeglicher Anweisung zum 'Bauplan' des Menschen herzustellen, das
einzige Argument. Jedoch wird er Habermas zustimmen wenn dieser
schließt „wenn uns zwingende moralische Gründe fehlen, müssen
wir uns an den gattungsethischen Wegweiser halten. (S. 121), der
asymmetrische Bestimmungsverhältnisse zwischen Generationen
verbietet.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Für
Jonas muss die ethische Frage zuerst geklärt sein (S. TME, 201),
bevor wir hier weiter schreiten. Es gehört jedoch auch zu
moralischer Behutsamkeit, zu überdenken wie wir handeln sollen,
wenn sie unversehens schon eintreten. Dann dürfen wir nicht
moralisch ratlos da stehen. Wichtig ist, ob dass man sich nicht in
einer Scheindebatte müde kämpft, um sein moralisches Bankrott dann
von der immerhin ungehemmt voranschreitenden Technologie besiegelt
zu sehen. Ich glaube, dergleichen mahnte Sloterdijk in seinem
‚Brief’ <i>Regeln für den Menschenpark</i>, S. 46ff.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote4">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4anc" name="sdfootnote4sym">4</a>Das
Menschenbild kann sich für Jonas nicht <i>selbst</i> begründen auf
transzendentalphilosophische oder diskursethische Weise. Die
vollständige formale Selbstvergewisserung müsste mit einer
Verkennung des Eigenrechts des Materialen erkauft werden – ein
unmöglicher Preis.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote5">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5anc" name="sdfootnote5sym">5</a>Dies
scheint nicht ausgeschlossen, wenn ein Beobachter hier <i>fragt</i>
„Wie weit könnte man solche Attribute [gemeint sind genetisch
veranlagte Körpereigenschaften, KV], wenn überhaupt, verbessern,
ohne die Natur des Menschen zu verändern?“ (Nicolas Wade, Das
Genom-Projekt und die neue Medizin, S. 7. Siehe auch S. 196-200 über
die menschliche Natur.)</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote6">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote6anc" name="sdfootnote6sym">6</a>Für
eine Übersicht über die bioethische Debatte, siehe Ludger
Honnefelder et al., ‚Das genetische Wissen und die Zukunft des
Menschen’, Berlin 2003.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote7">
<div class="sdfootnote">
<span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote7anc" name="sdfootnote7sym">7</a>Ropohl,
a.a.O, S. 197. Es gibt keine eindeutige Zäsur die den Anfang
moderner Technologie festlegt. Sie entwickelt sich aus
Errungenschaften der abendländischen Tradition, wie ihre Kritiker
auch.</span></div>
</div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-68435665770782872972012-07-19T20:12:00.002-07:002012-07-19T20:12:43.666-07:001.1.2 Weitere Konsequenzen<br />
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Wenn der soeben
beschriebene Moloch der Technologie fortschreitet, führt das
zunächst zu einigen weiteren neuartigen Konsequenzen. Wir
unterscheiden diese von den formalen Aspekten der Technologie selbst,
weil es hier nicht mehr um ihre innere Gesetzmäßigkeit geht,
sondern um ihre unmittelbaren Folgen, die auch zu neuartigen
Bedingungen der Praxis werden.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Erstens ‚braucht’ die
Technologie immer neues Material. Jonas nennt Mechanik, Chemie, und
Elektrizität. Natürlich ermöglichen diese letztendlich die
Technologie, doch die Selbstverständlichkeit womit immer bessere
Konstruktionen entworfen werden, spricht für das Jonassche Modell
eines unabhängig sich vollziehenden Prozesses. Jonas hatte schon bei
der Chemie konstatiert, dass das Eingreifen menschlicher
Ingenieurskunst „tiefer, bis in die Infrastrukturen der Materie,
welcher [...] mit geplanten Nutzeigenschaften, durch willkürliche
Umordnung ihrer Moleküle abgewonnen werden“ (TME, 34). Das ist ein
gutes Beispiel für die Zirkularität von Zwecken und Mitteln: das
Erzeugen neuer Nutzen, also neuer Zwecken in immer
erfahrungsfremderen Bereichen. Die Konsequenzen des ‚Prinzips
Fortschritt’ führen also zweitens zu immer größeren
Erfahrungsfremdheit der Technologie. Elektrizität ist schon
‚gänzlich ein Artefakt’ (TME, 36). Hinzu kommt die immer größere
zeitliche und räumliche Distanz zwischen Einsatz und Wirkungen der
Technologie, die zumindest ihre Nachteile durch den Druck des
Wettbewerbs immer weiter außerhalb der individuellen Erfahrung
rücken. Als dritte Konsequenz sei hier genannt, dass die Technologie
dem schieren Ausmaß ihrer Macht nach schon neuartig ist. Es gibt
weder einen Bereich des Wissens, noch einen Bereich des Handelns, der
nicht von ihr affiziert wäre. Jede Handlung hat einen
technologischen Kontext, der sie als Glied in einer Kette bestimmt,
die sie nicht mehr überblicken kann. Selbst Resultat von
Fernwirkungen werden sie zu deren Funktionen. „Macht“ im Sinne
von „Wirkungsmacht“ hat sich von den Menschen losgelöst.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br />
</div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-29108197737828727762012-07-09T07:23:00.001-07:002012-07-09T07:23:42.907-07:001.1.1 Formale Charakteristika moderner Technik<br />
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Moderne Technologie ist
ein „Unternehmen und ein Prozeß“, nicht mehr ein „Besitz und
ein Zustand“ (TME, 16)</span><span style="font-size: small;"> <a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></span><span style="font-size: small;">
Dieses Merkmal ist sicherlich ein Neues. In vormoderner Zeiten hatte
Technologie nicht die Selbständigkeit als Prozess, sondern wurde in
den Lebensprozessen (Ernährung, Kriegsführung) eingepasst. Ein
Pflug war in erster Linie ein Ding das den Ackerbau erleichterte,
ohne selbst Kriterien für ihn zu liefern. Sein Wesensgrund konnte
eindeutig auf die Arbeit erleichternden Zwecke zurückgeführt
werden, die man mit ihm erfüllt. Der Pflug ist eindeutig ein
Werkzeug im Sinne Jonas</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></span><span style="font-size: small;">.
Der Pflug ist das Paradigma für die vormoderne Technik, wo die
einzelnen technischen Errungenschaften, reduziert werden können auf
die Zwecke, denen sie dienen. Das konnte so bleiben, solange das
Arsenal an Werkzeugen „ziemlich konstant“ (TME, 17) war, und
Entwicklungen einfach passierten, statt bewusst veranstaltet zu
werden (ebd.). Kurz: es herrschte noch nicht der Glaube an den
Fortschritt (TME, 18), und es gab noch keine Methode, um ihn zu
verwirklichen. Ganz im Gegenteil: das erzielte ‚Gleichgewicht’
war der eigentliche Stolz früherer Hochkulturen, bemerkt Jonas in
einer Fußnote (TME, 41).</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Für die moderne Technik
gilt laut Jonas „das gerade Gegenteil dieses Bildes“ (TME, 19).
Wir haben bereits gesehen, dass die moderne Technik sich besser als
ein Prozess denn als ein Besitz oder Umstand verstehen lässt. Wir
sagen nicht, dass die gegenwärtige Technik, im absoluten Unterschied
zu der alten, nun plötzlich einen Prozesscharakter hat, sondern,
dass dieser Aspekt der Technologie sich mit ihrer Entwicklung
allmählich mehr in den Vordergrund gedrungen hat, bis eine Schwelle
überschritten wurde, wo ihr Wesen nicht mehr befriedigend aus ihrer
Anpassung an von ihr unabhängigen, von den Menschen gesetzten
Zwecken </span><span style="font-size: small;"><i>erklärt</i></span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a></span><span style="font-size: small;">
werden konnte. Es kommt in erster Linie darauf an, nachzuweisen, dass
das Wesen der modernen Technologie nicht nach dem alten Muster
verstanden werden kann. Dafür müssen wir weiter eingehen auf die
von Jonas beschriebene Neuartigkeit. Das Grundmerkmal der
Prozessmäßigkeit der Technologie arbeitet Jonas weiter aus; es
kommt zum Ausdruck in den folgenden drei formalen Charakteristika:</span></div>
<ol>
<li><div class="text-body-indent-western">
„<span style="font-size: x-small;">Jeder neue
Schritt in irgendwelche Richtung in irgendeinem technischem Gebiet
[...] wird im Erfolgsfalle der Anlaß zu weiteren Schritten in alle
möglichen Richtungen“ (TME, 19)</span></div>
</li>
<li><div class="text-body-indent-western">
<span style="font-size: x-small;">Die Verbreitung
der Technologie ist unvergleichbar schnell durch die
Kommunikationstechnik einerseits, und den Wettbewerbsdruck
andererseits (</span><span style="font-size: x-small;">TME, 19)</span><span style="font-size: x-small;">.</span></div>
</li>
<li><div class="text-body-indent-western">
<span style="font-size: x-small;">In moderner
Technologie ist das Verhältnis von Mitteln und Zwecken „dialektisch
zirkulär“ (TME, 19).</span></div>
</li>
</ol>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">1. Das erste Merkmal des
in den Vordergrund geratenen Prozesscharakters moderner Technik, ist
das Fehlen eines „Sättigungspunktes“. Das Bild, das Jonas von
dieser Entwicklung skizziert, ist dass jeder erfolgreiche
technologische Schritt zwangsläufig alle durch ihn möglich
gewordenen Folgeschritte verursacht. Das Kriterium des Erfolgs kann
aber nicht mehr vorher bestimmt werden durch die Tauglichkeit ein
bestimmtes Problem zu lösen, sondern liegt eben in jener Vermehrung
der technologischen Möglichkeiten die aus ihr folgt. Der Erfolg der
Mikroelektronik liegt nicht darin, dass man mit ihr Probleme lösen
kann, die man bisher nicht lösen konnte, sondern darin, dass sie die
Entwicklung neuer Technik ermöglichte, die ihrerseits Probleme löst,
die bisher gar unvorstellbar waren.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Immerhin ist eine
‚konservative’ Interpretation dieses Merkmal der Technologie
möglich, das die qualitative Neuartigkeit auf quantitative Faktoren
zurückführt. Schon die frühesten Techniken der Menschheit, Rad und
Feuer, machten vieles denkbar das bisher ungeahnt war. Durch sie
folgten sicherlich schon ‚Schritte in alle möglichen Richtungen“.
Der Unterschied würde bloß darin liegen, dass die Schritte heute
schneller aufeinander folgen, und dass das Äquivalent von dem, was
früher in Jahrhunderten heran wuchs (Ackerbau, Metallurgie, die
antike Baukunst) innerhalb von einer Generation schon mehrfach
überboten wird. Diese ungeheure Komprimierung der Entwicklung könnte
die Ursache dafür sein, dass man in antiken Kulturen so etwas wie
einen „technologischen Sättigungspunkt“ (TME, 18) empfand,
während man heute insgeheim an die Unersättlichkeit glaubt. Die
Konsequenz dieser kulturgeschichtlichen Komprimierung wäre, dass man
einfach alles andere auch beschleunigen müsste: prognostizierte
Sitten für kommende Jahrhunderte müssten vorschnell in ethische
Gebote für das Individuum umgemünzt werden, das sich dann
desorientiert und unreflektiert auf den gleichen Fortschrittsprozess
beschränkt, dem er so erst recht Gesetzescharakter verleiht</span><sup><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4sym" name="sdfootnote4anc"><sup>4</sup></a></span></sup><span style="font-size: small;">.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Doch ich glaube, dass
diese Reduktion von Qualitativem auf Quantitativem nicht zutrifft.
Sie überfordert den Interpreten. Die unbedingte, metaphysische
Annahme, dass alles, was möglich ist, auch realisiert werden </span><span style="font-size: small;"><i>muß</i></span><span style="font-size: small;">,
und sogar die Erwartung, dass ein Schritt immer neue Möglichkeiten
entstehen lässt, diese ‚Begleitvorstellungen’ der Technologie
sind doch die Ursache davon, dass man die moderne Technologie gar
nicht mehr anders denn als zwangsläufigen, schicksalhaften Prozess
interpretieren </span><span style="font-size: small;"><i>kann</i></span><span style="font-size: small;">.
Wer behauptet, dass was immer schon passierte, jetzt nur mit höherer
Geschwindigkeit vor sich geht, verkennt die radikal veränderte Rolle
der Menschen in dem Prozess der Technologie. Die Schnittmenge des
technologischen Prozesses mit dem menschlichen Entscheidungsprozess
ist eine andere. Entscheidungen sind nicht mehr autonom. Jedes „Ja“
und jedes „Nein“ ist in einen selbstständigen Prozess hinein
gesagt, dessen Eigengesetzlichkeit ihm abzusprechen nur noch in Wahn
möglich wäre. Jonas hatte recht, als er hier einen qualitativen
Unterschied diagnostizierte, solange wir hinzu denken ‚für den
Menschen’. </span>
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">2. Die von Jonas
beobachtete schnelle Verbreitung der Technologie, an der Seite des
Wissens durch die Kommunikationstechnologie, an der Seite der
praktischen Aneignung durch den Wettbewerbsdruck, ist einleuchtend.
Betrachtet man die heutige sofortige Verfügbarkeit von beliebiger
Information durch das Internet, so ist der quantitativ enorme
Unterschied mit vormoderner Technik unverkennbar. Doch handelt es
sich hier auch um einen qualitativen Unterschied? Wiederum möchte
ich die formale Neuartigkeit anhand des bereits in Punkt eins
beschriebenen Entscheidungsmoments des Menschen deutlich machen. Wir
können die Ursache der schnellen Verbreitung dann so formulieren,
dass in den neuen technischen Errungenschaften ein </span><span style="font-size: small;"><i>Muß
der Anwendung</i></span><span style="font-size: small;"> liegt. Durch den
Wettbewerbsdruck existieren Unternehmen die </span><span style="font-size: small;"><i>nicht</i></span><span style="font-size: small;">
mit der – binnen bestimmten Rahmenbedingungen – modernsten
Maschinen produzieren einfach nicht mehr, weil sie vom Markt
verdrängt wurden</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5sym" name="sdfootnote5anc"><sup>5</sup></a></span><span style="font-size: small;">.
Die schnelle Verbreitung ist dadurch die Ursache einer neuartigen
Eigengesetzlichkeit der Technologie: nämlich dass sie de facto immer
schneller entwickelt und verbreitet werden </span><span style="font-size: small;"><i>muß</i></span><span style="font-size: small;">.
In kritischen Debatten steht heutzutage dieses Muß in Frage, während
früher umgekehrt in kritischen Situationen das Muß erst hervortrat.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">3. Das Verhältnis von
Mittel und Zweck hat sich in der modernen Technologie ebenfalls
revolutioniert. Es ist ein Gemeinplatz, dass der größte Teil
moderner Technologie Bedürfnisse befriedigt die vor einem
Jahrhundert kaum vorstellbar waren, da sie erst im Laufe der
technologischen Entwicklung erzeugt oder aufgezwungen wurden. Jonas
schreibt: „Zwecke, die zunächst ungebeten und vielleicht zufällig
durch Tatsachen technischer Erfindung erzeugt werden, werden zu
Lebensnotwendigkeiten“ (TME, 20). Dieses Merkmal des
Technologieprozesses ist von dem in Punkt eins behandeltem Aspekt zu
unterscheiden. Dort liegt der Grund des Fortschreitens ‚in den
Sachen selbst’. Hier erzeugen technische Erfindungen neue </span><span style="font-size: small;"><i>Zwecke</i></span><span style="font-size: small;">,
und fügen somit dem Prozess eine neue Dimension hinzu, die ihn
weiter beschleunigt</span><sup><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote6sym" name="sdfootnote6anc"><sup>6</sup></a></span></sup><span style="font-size: small;">.
</span>
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Auch hier könnte –
zwecks phänomenologischer Klarheit – eingewendet werden, dass es
schon in der ältesten Technik ‚dialektische’ Verhältnisse von
Mitteln zu Zwecken gab. Die ‚Erfindung’ des Ackerbaus war nicht
nur Anlass zu weiteren Erfindungen, etwa der Bewässerungstechnik,
sondern auch Anlass zu neuartigen Zwecken, wie dauerhafte Besiedlung
usw. Jedoch gilt hier das gleiche Argument oben. Die
Zweck-Mittel-Ketten sind soweit in unsere Kontrolle geraten (und wir
können uns dieser Kontrolle nicht entziehen!), dass das alte
Paradigma der Technik als eines überschaubaren Ersatzes für den
menschlichen Arbeitsaufwand, nicht mehr haltbar ist. Neue Zwecke
ergeben sich nicht nur, sondern werden vom System ganz bewusst
geplant und erzeugt.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Jonas fügt diesen drei
Merkmalen ein viertes hinzu, das aus den ersten drei folgt und sie in
gewisser Weise zusammenfasst, nämlich den Aspekt des Fortschritts.
‚Fortschritt’ ist nach Jonas nicht eine ‚Verzierung’ des
technologischen Unternehmens, sondern „ein in der modernen
Technologie selbst gelegener Antrieb“ (TME, 20). Jede Erneuerung
ist allem Früheren </span><span style="font-size: small;"><i>überlegen</i></span><span style="font-size: small;">.
Jonas betont, dass es dabei nicht um die moralische Bewertung geht,
sondern um ‚plane Tatsachenfeststellung’ (TME, 41). Nóch
destruktivere Atombomben sind ihren Vorgängern zum Beispiel
technisch überlegen, und stellen in diesem Sinne einen Fortschritt
da, moralisch wären sie nur als Rückschritt zu verstehen. Dieser
formale Fortschrittsbegriff der wiederholbaren generischen
Verbesserung ist theoretisch uneingeschränkt. Der Glaube an die
unendliche Verbesserung (die etwas anderes ist als die
</span><span style="font-size: small;"><i>perfectibilitas</i></span><span style="font-size: small;">, die
ständige Verbesserung menschlicher Leistung innerhalb eines Genus,
wobei asymptotisch einer Obergrenze genähert wird), der vielleicht
einen wahren Kern enthält, ist wesentlich für den
Fortschrittsbegriff. „Niemals tritt ein Halt durch interne
Erschöpfung der Möglichkeiten ein“ (TME, 25).</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Dieser Aspekt des der
Technik innewohnenden Fortschritts ist für Jonas der
zusammenfassende Terminus für das Neuartige der modernen
Technologie. Die drei hier beschriebenen Merkmale, nämlich das
Fehlen eines Sättigungspunktes, die de facto gezwungene Verbreitung
und die dialektische Verschlingung von Zwecken und Mitteln, sind
formal zu unterscheidende Aspekte dieses Fortschreitens.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Doch das unaufhaltsame
Wirken der Technologie in der Welt führt zu weiteren Veränderungen,
die nicht länger nur ihren formalen Aspekt betreffen. Wir wenden uns
diesen jetzt zu.</span></div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Hans
Lenk nennt auch diese Prozesualität als wichtigstes Merkmal
moderner Technik: „there ist a growing and accellerating
importance of and orientation toward technological processes,
operations, and procedures. Process control and managerial
procedural phenomena are outstanding features of modern
technological and industrial production and development.“
(Advances in the philosophy of technology: new structural
characteristics of technologies, S. 95).</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>Jonas’
Definition eines Werkzeuges lautet: „Ein Werkzeug ist ein hierfür
[für den tierischen Vitalzweck, KV] hergerichtetes träges Objekt,
das vermittelnd, d.h. als Mittel, zwischen das handelnde Leibesorgan
(meist die Hand) und den außerleiblichen Gegenstand der Handlung
zwischengeschaltet wird.“(PU, 37).</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Die
Neuartigkeit der modernen Technik hat also <i>hermeneutische</i>
Gründe, und keine ontologische. Das heißt nicht, dass sie weniger
zwangsläufig sind. Die ‚absolut neuartige’ Merkmale moderner
Technik könnten mit ein wenig Phantasie auch in die vormoderne Zeit
hineingedeutet werden. Wenn der Mensch z.B. Tiere als Werkzeuge
interpretierte und benutzte, hatten die natürlich auch eine
selbständige Existenz und waren Teil eines Prozesses mit seiner
evolutiven Eigengesetzlichkeit. Der Anspruch der Neuartigkeit wird
augenscheinlich geschwächt wenn sie als bloßes Merkmal unserer
Interpretation aufgefasst wird. Jedoch ist dies der einzige Weg,
jenen phantasievollen Entkräftungsversuchen die Stirn zu bieten.
Außerdem macht die Explizierung des Interpreten das Projekt dieser
Untersuchung deutlich. Es geht darum, die ontologische Argumentation
für die Verantwortung als rationales Argument für eine der
Situation angemessene Technikdeutung zu retten.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote4">
<div class="sdfootnote">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4anc" name="sdfootnote4sym">4</a>Es
ist eine Form dieser Logik die dem Wachstumskapitalismus oder der
<i>growth economy</i> zugrunde
liegt, die nach der Wirtschaftskrise 2009 mehr kritische Stimmen
nach sich zog. Vgl. Tim Jackson, <i>Prosperity without growth</i>
(2009) und Oliver James, <i>Affluenza </i>(2007).</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote5">
<div class="sdfootnote">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5anc" name="sdfootnote5sym">5</a>Diese
Eigengesetzlichkeit der Technologie lässt sich besonders gut
illustrieren anhand moderner Industriezweigen, wo alles darauf
ankommt, dass die jeweils aktuellsten Produktionsmittel im Einsatz
sind.
</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote6">
<div class="sdfootnote">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote6anc" name="sdfootnote6sym">6</a>Christian
Illies weist darauf hin, dass durch das Verständnis dieser
veränderten Zweck-Mittel Stellung im 'Bezugsystem
Mensch-Technik-Natur' nicht nur die Technik, sondern gerade auch das
Wesen des modernen Menschen besser verstanden werden kann. Vgl.
„Technik, Mensch, Natur“, in: Prinzip Zukunft, S. 275-289.</span></div>
</div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-57499733100014574972012-07-09T07:01:00.001-07:002012-07-09T07:18:52.403-07:001.1 Die Neuartigkeit des technologischen ZeitaltersDie Rede von einer absolut
neuartigen Lage mag ein gesundes Misstrauen auslösen. Strictu sensu
ist Neuartigkeit, absolute „Unähnlichkeit mit dem Bisherigen“
eine logische Unmöglichkeit, nehmen wir als Interpreten doch beide
in den Blick. Es scheint, dass das Konzept der Neuartigkeit evoziert
wird, um die These der tatsächlich dramatischen Veränderung unserer
Lebenswelt durch die Technik, dramatisch verstärkt wiederzugeben.<br />
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Auf jeden Fall muss
expliziert werden, worin genau das (relativ) Neue liegt, das die
Praxis um jenen Bereich ergänzt, wo die alten Prinzipien ihre
Gültigkeit verlieren. Diese Nuance, von relativer Neuartigkeit zu
reden, erlaubt es, die moderne Technik in seiner Genese und
Kontinuität zu denken. Das könnte das Neuartige </span><span style="font-size: small;"><i>für
den Menschen</i></span><span style="font-size: small;"> noch überzeugender machen, als
wenn wir von einer Neuartigkeit im absoluten Sinne sprechen würden,
die der Kontinuität unserer Erfahrungen widerspräche. Um konkreter
über Neuartigkeit versus Kontinuität reden zu können, müssen wir
unser Vorverständnis von “Technik” klären.</span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Bevor wir uns mit Jonas’
Phänomenologie der Technik beschäftigen, sei eine formale
Definition der Technik</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></span><span style="font-size: small;">
vorgestellt. Der Technikphilosoph Günter Ropohl definiert Technik
folgendermaßen:</span></div>
<div class="text-body-indent-western">
<span style="font-size: x-small;">Technik
umfaßt:<br />- die Menge der nutzenorientierten, künstlichen,
gegenständlichen Gebilde (Artefakte oder Sachsysteme);<br />- die
Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Sachsysteme
entstehen;<br />- die Menge menschlicher Handlungen, in denen
Sachsysteme verwendet werden.</span><span style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></span><span style="font-size: x-small;"><br /></span><br />
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Bei Technik handelt es
sich also um nutzenorientierte Sachsysteme. Auf den ersten Blick
steht hier eine klare Definition, doch wenn man nach der genauen
Bedeutung von Nutzen fragt, wird klar, dass hier begrifflich noch
vieles offen ist. Natürlich geht es nicht um einen bestimmten, für
immer festgelegten Nutzen, sondern hängen die von ihren Trägern ab.
Diese Definition sagt eben, dass Technik von Menschen entwickelt wird
die einen bestimmten Nutzen erkannt haben, der dann als Orientierung
für die Entwicklung und Einsatz einer Technik dient. Für die
vormoderne Technik (Pfeil, Pflug, Papyrus) ist das unproblematisch,
doch bei der modernen Technik kann es zu begrifflichen Komplikationen
führen. Wir werden sehen, dass bei zunehmender Eigengesetzlichkeit
der Technik das Streben nach Nutzen nicht mehr alles erklärt (dass
nämlich dieses Streben nicht mehr autonom ist). Dies vorweggenommen,
wenden wir uns jetzt Jonas’ Phänomenologie der modernen Technik
zu</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a></span><span style="font-size: small;">.
</span>
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Jonas unterscheidet
zwischen formaler und materialer</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote4sym" name="sdfootnote4anc"><sup>4</sup></a>
</span><span style="font-size: small;">Merkmale moderner Technik. In formalem Sinne
sieht er Technik als ein „fortlaufendes kollektives Unternehmen“
(TME, 15) mit einer Eigengesetzlichkeit. Jonas betrachtet das
material Neue</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote5sym" name="sdfootnote5anc"><sup>5</sup></a></span><span style="font-size: small;">
moderner Technik um eine „Taxonomie“ (TME, 16) der formalen
Neuheiten aufzustellen, um festzulegen, ‚woran’ sie sich
vollzieht. Die Neuartigkeit wird somit fast ausschließlich durch den
formalen Aspekt erfasst. </span><span style="font-size: small;"><i>Fast</i></span><span style="font-size: small;">
ausschließlich, weil der Sachverhalt, dass der Mensch </span><span style="font-size: small;"><i>selbst</i></span><span style="font-size: small;">
zum Objekt moderner Technik werden kann</span><span style="font-size: small;"><a class="sdfootnoteanc" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote6sym" name="sdfootnote6anc"><sup>6</sup></a></span><span style="font-size: small;">,
offenkundig eine Neuartigkeit im Material ist. </span>
</div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Das
Wort „Technik“ umfasst wie auch „Apparat“ mehr als Sachen.
Man denke z.B. an „Mnemotechnik“ oder „Handapparat“.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote" style="margin-left: 0cm; text-indent: 0cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>
G. Ropohl, Technologische Aufklärung, Frankfurt/Main 1991, S. 18.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Jonas’
Überlegungen zu einer Phänomenologie der Technik befinden sich in
den ersten beiden Kapiteln von TME, und in PV, 13-58.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote4">
<div class="sdfootnote">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote4anc" name="sdfootnote4sym">4</a>Er
erreicht dadurch eine gute Übersicht. Solange sich die formalen
Entwicklungen an dem Prozess und nicht am Material stattfinden,
lässt sich Technologie hiermit analysieren. Eine Schwierigkeit
könnte die Informationstechnologie sein (die allerdings noch nicht
so weit entwickelt war, als Jonas seine Analyse schrieb), wo das
‚Material’, die Information, die formalen Entwicklungen direkt
beeinflusst.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote5">
<div class="sdfootnote">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote5anc" name="sdfootnote5sym">5</a>Bei
Jonas gleichbedeutend mit „substantiell“ (TME,15), oder
„sachlich“ (TME, 30). Wir werden öfter Synonyme und Homonyme
antreffen; Jonas wird oft terminologische Laxheit vorgeworfen, was
zum Teil an seinem jahrzehntelangen Leben in der Emigration liegen
könnte. Auf jeden Fall lässt sich der Geist seiner Philosophie
nicht unbedingt an ihrem Buchstaben ablesen, und bedarf es einer
willigen Interpretationsarbeit, die m.E. nicht so sehr seine
Ergebnisse deuten muss, sondern vor allem sein Problembewusstsein.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote6">
<div class="sdfootnote">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=938725109894101633&pli=1#sdfootnote6anc" name="sdfootnote6sym">6</a>Jonas’
Auseinandersetzung mit der Biotechnologie bespreche ich in 1.1.2.</span></div>
</div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-79239510728807924282012-07-07T07:36:00.000-07:002012-07-19T22:13:30.178-07:001 Das Projekt Zukunftethik<span style="font-size: small;">Jonas’
Anliegen in seinem 1979 erschienenen Buch „Das Prinzip
Verantwortung“ ist ein anderes als oft behauptet wird. Es geht
nicht um den Entwurf einer völlig neuen Ethik, sondern um einen
Zusatz, der mit den Verheißungen der neuen Technologie fertig wird</span><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a><span style="font-size: small;">.
Jonas will keine Revolution in der Ethik, sondern sucht ein Prinzip
dass sie hinsichtlich der neuartigen Lage unterstützen kann. Er
merkt selbst an, dass „die alten Vorschriften der Nächsten-Ethik
Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Ehrlichkeit [nach wie vor, KV] gelten“
(PV, 26)</span><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a><br />
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Dennoch
ist ihm diese Ergänzung der traditionellen Ethik wesentlich. Seine
Begründung für die Notwendigkeit eines </span><span style="font-size: small;"><i>neuartigen</i></span>
<span style="font-size: small;">Prinzips, das zu der herkömmlichen Ethik hinzutritt,
kommt bereits im Vorwort des Prinzip Verantwortung zum Ausdruck. Es
gilt zunächst, diese Begründung kritisch zu prüfen. Dabei wird das
Vorwort gedanklich als Leitfaden dienen, und es wird natürlich schon
etwas von der eigentlichen Argumentation anklingen:</span></div>
<div class="text-body-indent-western" lang="de-DE">
Der endgültig
entfesselte <a class="zem_slink" href="http://en.wikipedia.org/wiki/Prometheus" rel="wikipedia" target="_blank" title="Prometheus">Prometheus</a>, dem die Wissenschaft nie gekannte Kräfte und
die Wirtschaft den rastlosen Antrieb gibt, ruft nach einer Ethik, die
durch freiwillige Zügel seine Macht davor zurückhält, dem Menschen
zum Unheil zu werden. Daß die Verheißung der modernen Technik in
Drohung umgeschlagen ist, oder diese sich mit jener unlösbar
verbunden hat, bildet die Ausgangsthese des Buches. Die dem
Menschenglück zugedachte Unterwerfung der Natur hat im Übermaß
ihres Erfolges, der sich nun auch auf die Natur des Menschen selbst
erstreckt, zur größten Herausforderung geführt, die je dem
menschlichen Sein aus eigenem Tun erwachsen ist. Alles daran ist
neuartig, dem Bisherigen unähnlich, der Art wie der Größenordnung
nach: was der Mensch heute tun kann und dann, in der
unwiderstehlichen Ausübung dieses Könnens, weiterhin zu tun
gezwungen ist, das hat nicht seinesgleichen in vergangerer Erfahrung.
(PV, 7)
</div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Jonas
konstatiert eine radikal veränderte Lage der <a class="zem_slink" href="http://en.wikipedia.org/wiki/Lifeworld" rel="wikipedia" target="_blank" title="Lifeworld">Lebenswelt</a>, die durch
die technologische Zivilisation verursacht wird</span><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a><span style="font-size: small;">.
Diese hat die menschliche Macht ins Ungeheure gesteigert</span><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4sym" name="sdfootnote4anc"><sup>4</sup></a><span style="font-size: small;">.
Daraus ergibt sich jedoch noch </span><span style="font-size: small;"><i>nicht</i></span><span style="font-size: small;">,
dass die von dem Gebrauch dieser Macht aufgeworfenen ethischen
Probleme nicht mit dem Kanon altehrwürdiger moralischer Maximen
gelöst werden könnten. Die moralische Diskussion etwa über die
Anwendung von Kernenergie lässt sich begreifen als Kollision
</span><span style="font-size: small;"><i>individueller </i></span><span style="font-size: small;">(durch
politische Repräsentation vertretener) Ansprüchen, nämlich der
Anspruch auf Energiekonsum nach dem hiesigen Standard, und der
Anspruch auf Sicherheit</span><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5sym" name="sdfootnote5anc"><sup>5</sup></a><span style="font-size: small;">.
Das liesse sich innerhalb der herkömmlichen Ethik aushandeln. Sogar
ins Ungeheure gesteigerte Macht, wie ‚wir’ sie mittlerweile über
den Planeten ausüben, stellt die Zuständigkeit der überlieferten
Ethik der individuellen Ge- und Verbote nicht in Frage -
vorausgesetzt, dass mit der Macht auch die Kontrolle über sie
wächst.</span></div>
<div align="JUSTIFY" class="western" lang="de-DE" style="line-height: 150%; margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Doch hier liegt laut Jonas das Problem. Individuelle
Kontrolle der Macht ist oft nicht mehr möglich, weil niemand</span>
<span style="font-size: small;">mehr den Überblick hat. Der Einzelne wüsste nicht, wo
er ansetzen sollte: ein an ihn gerichtetes Gebot, egal wie absolut es
gültig wäre, würde eher Panik als Lösungen herbeiführen. Das
würde auch für jedes ethische Regelwerk zutreffen, das bloß auf
individuellen Zuständigkeiten und Ansprüchen fußt. Die Technologie
als Prozess geht im Wesentlichen über den Einzelnen hinaus, und so
müssten auch die Gebote, die ihn im Zaum halten ihren Ursprung
jenseits der Individualethik haben. Die Technik ist also nicht länger
als kontrollierbares und verfügbares Hilfsmittel, sondern vielmehr
als Modus unseres In-der-Welt-Seins</span><sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote6sym" name="sdfootnote6anc"><sup>6</sup></a>
</sup><span style="font-size: small;">zu verstehen. Jonas zieht diesen Schluss aufgrund
der nüchternen Feststellung, dass der Mensch diese Dinge „weiterhin
zu tun gezwungen ist“ (PV, 7). Dieser ‚Sachzwang’</span><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote7sym" name="sdfootnote7anc"><sup>7</sup></a>
<span style="font-size: small;"><i>könnte</i></span> <span style="font-size: small;">das Wesen der Praxis
verändern. Es muss also nachgewiesen werden, dass die Lage sich
absolut und endgültig geändert hat. Wir müssen diese Ausgangsthese
nachvollziehen können, um zu verstehen warum Jonas es sich bei
seinem Lösungsversuch so schwer gemacht hat. Das wird uns im
Abschnitt 1.1 beschäftigen.</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Doch
absolute Veränderung unserer Lage bedeutet nicht zwangsläufig, dass
auch die Praxis, womit wir auf diese Lage reagieren, sich ändern
soll</span><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote8sym" name="sdfootnote8anc"><sup>8</sup></a><span style="font-size: small;">.
Jonas muss nachweisen, dass mit der Hochtechnologie eine neuartige
Praxis einhergeht, nämlich die des kollektiven Handelns. In 1.2 gehe
ich nach, was das Neuartige an dieser Praxis des kollektiven Handelns
ausmacht. </span>
</div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Das
was hinzugekommen ist, das Neuartige, </span><span style="font-size: small;"><i>könnte</i></span>
<span style="font-size: small;">aber mit den Mitteln der herkömmlichen Ethik begriffen
werden; die kollektive Praxis könnte mit den Prinzipien der
Individualethik auskommen, wenn das in ihr neu erschlossene Feld
ethisch neutral ist. Jonas muss also nachweisen, dass die Folgen der
kollektiven Praxis nicht ethisch neutral sind, und eine absolut neue
Ethik erfordern: </span>
</div>
<div class="text-body-indent-western" lang="de-DE">
<span style="font-size: x-small;">Keine
überlieferte Ethik belehrt uns daher über die Normen von „Gut“
und „Böse“, denen die ganz neuen Modalitäten der Macht und
ihrer möglichen Schöpfungen zu unterstellen sind. Das Neuland
kollektiver Praxis, das wir mit der Hochtechnologie betreten haben,
ist für die ethische Theorie noch ein Niemandsland (PV, 7).</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">In
Abschnitt 1.3 fragen wir warum laut Jonas</span> <span style="font-size: small;">die
tradierte ethische Theorie der kollektiven Praxis wirklich nicht
gerecht werden kann.</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Jonas
will aber nicht nur die Mängel der traditionellen Ethik im Lichte
der kollektiven Praxis aufzeigen, sondern auch eine Alternative
bieten. Wir müssen also weiter fragen, woran Jonas sich dafür
orientiert. Wenn die Praxis in der Tat völlig neuartig ist, müssen
auch die Regeln, die für sie gelten sollen, nicht auf die alten
Regeln zurückgeführt werden können, denn eine Praxis definiert
sich durch die (ungeschriebenen) Regeln denen man in ihr folgt. Jonas
könnte (ihm selbst zufolge) also nicht einfach von den formalen
Entwürfen von Kants Metaphysik der Sitten oder Aristoteles’
Nicomachische Ethik ausgehen, und ihnen mit neuen Inhalten zu
bestücken, die der heutigen Situation gerecht werden. Was Jonas
sucht, ist nicht etwa eine Maxime, die ich widerspruchslos als
</span><span style="font-size: small;"><i>allgemeine</i></span> <span style="font-size: small;">Maxime
denken könnte,</span> <span style="font-size: small;">weder eine Tugend die in den von
Aristoteles begonnenen Tugendkatalog aufgenommen werden könnte.</span>
<span style="font-size: small;">Wie kann er sich denn orientieren angesichts</span> <span style="font-size: small;">der
von ihm behaupteten Neuartigkeit?</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Logisch
gesehen stehen ihm zwei Wege offen. Entweder das Subjekt oder das
Objekt der neuen Ethik muss strukturell neuartig sein. Entweder muss
er einen bisher übersehenen Aspekt des Menschen nachweisen, oder er
muss zeigen, dass die neuartige Gefahr selber mit einer
Appellqualität behaftet ist. Entweder muss er also eine theoretische
Korrektur des Menschenbildes der Moderne vornehmen, </span><span style="font-size: small;"><i>oder
</i></span><span style="font-size: small;">einen direkten ethischen Appell nachweisen,
der von der neuen Situation ausgeht.</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Zunächst
wählt Jonas die zweite Option:</span></div>
<div class="text-body-indent-western" lang="de-DE">
<span style="font-size: x-small;">Was
kann als Kompaß dienen? Die vorausgedachte Gefahr selber! In ihrem
Wetterleuchten aus der Zukunft, im Vorschein ihres planetarischen
Umfanges und ihres humanen Tiefganges, werden allererst die ethischen
Prinzipien entdeckbar, aus denen sich die neuen Pflichten neuer Macht
herleiten lassen. Dies nenne ich die „Heuristik der Furcht“ (PV,
7-8)</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Bereits
im Prinzip Verantwortung erwähnt</span> <span style="font-size: small;">Jonas die
Heuristik der Furcht, und schlicht begründet sie mit dem Argument,
dass „es nun einmal so mit uns bestellt [ist]: die Erkennung des
</span><span style="font-size: small;"><i>malum </i></span><span style="font-size: small;">ist uns
unendlich leichter als die des </span><span style="font-size: small;"><i>bonum</i></span><span style="font-size: small;">;
sie ist unmittelbarer, zwingender, weil weniger
Meinungsverschiedenheiten ausgesetzt und vor allem ungesucht: die
bloße Gegenwart des Schlimmen drängt sie uns auf[....]“ (PV,
63)</span><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote9sym" name="sdfootnote9anc"><sup>9</sup></a><span style="font-size: small;">.
Im</span> <span style="font-size: small;">Abschnitt 1.4 wird die Heuristik der Furcht
besprochen. Was meint Jonas damit, dass erst durch sie „</span><span style="font-size: x-small;">die
ethischen Prinzipien entdeckbar“ werden?</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Es
bleibt aber nicht bei dieser Korrektur an der Objektseite. Auch das
Subjekt der gesuchten Ethik ist sich seines Wesens nicht mehr sicher.
Die „vorausgedachte Gefahr“ selber beeinflusst nicht nur unsere
Praxis, sondern macht uns durch den Kontrast erst klar, dass das
</span><span style="font-size: small;"><i>Wesen </i></span><span style="font-size: small;">des
Menschen auf dem Spiel steht</span><span style="font-size: small;">:</span></div>
<div class="text-body-indent-western" lang="de-DE">
<span style="font-size: x-small;">Erst
die vorausgesehene Verzerrung des Menschen verhilft uns zu dem davor
zu bewahrenden Begriff des Menschen. Wir wissen erst, </span><span style="font-size: x-small;"><i>was</i></span>
<span style="font-size: x-small;">auf dem Spiele steht, wenn wir wissen, </span><span style="font-size: x-small;"><i>daß</i></span>
<span style="font-size: x-small;">es auf dem Spiele steht. Da es dabei nicht nur um das
Menschenlos, sondern auch um das Menschenbild [d.h. den
Menschenbegriff, KV] geht, nicht nur um physisches Überleben,
sondern auch um Unversehrtheit des Wesens, so muß die Ethik, die
beides zu hüten hat, über die der Klugheit hinaus eine solche der
Ehrfurcht sein (PV, 8)</span><sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote10sym" name="sdfootnote10anc"><sup>10</sup></a></sup><span style="font-size: x-small;">.</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Gesetzt
also, dass Jonas’ Hoffnung auf eine völlig neue Ethik
gerechtfertigt ist, dann lautet die Frage, was für eine Begründung
dafür möglich ist. In Jonas’ Worten:</span></div>
<div class="text-body-indent-western" lang="de-DE">
Die Begründung
einer solchen Ethik, die nicht mehr an den unmittelbar
mitmenschlichen Bereich der Gleichzeitigen gebunden bleibt, muß in
die Metaphysik reichen, aus der allein sich die Frage stellen läßt,
warum überhaupt Menschen in der Welt sein sollen: warum also der
unbedingte Imperativ gilt, ihre Existenz für die Zukunft zu sichern.
Das Abenteuer der Technologie zwingt mit seinen äußersten Wagnissen
zu diesem Wagnis äußerster Besinnung. Eine solche Grundlegung wird
hier versucht, entgegen dem positivistisch-analytischen Verzicht der
zeitgenössischen Philosophie. Ontologisch werden die alten Fragen
nach dem Verhältnis von Sein und Sollen, Ursache und Zweck, Natur
und Wert neu aufgerollt, um die neu erschienene Pflicht des Menschen
jenseits des Wertsubjektivismus im Sein zu verankern. (PV, 8)</div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Ein
</span><span style="font-size: small;"><i>unbedingter </i></span><span style="font-size: small;">Imperativ,
wie Jonas ihn für nötig hält, kann offensichtlich nur von einer
</span><span style="font-size: small;"><i>metaphysischen</i></span> <span style="font-size: small;">Überlegung
gestützt werden. In der Tat: Jonas will die neuartige Pflicht „im
Sein verankern“ (PV, 8).</span></div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Siehe
TME , 300: „Kommen wir nicht eigentlich mit der alten Ethik aus,
wenn wir nur mit ihr Ernst machen? Vielleicht, aber ich bin nicht
ganz sicher, ob es ausreicht, nur an die Kategorien der Fairneß,
der Gerechtigkeit und der Güte, der Liebe, des Vergebens, des
Respektierens usw. zu appellieren, sondern glaube, daß man
wahrscheinlich noch etwas mehr nötig hat, was natürlich alle jene
Begriffe im Keim schon enthalten, nämlich, daß man außer gegen
den Mitmenschen Pflichten gegen die Menschheit hat.“</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>Siehe
auch TME, 273f. Der Technikphilosoph Hans Lenk hat das in seiner
Besprechung nicht gesehen; er wird Jonas nicht gerecht wenn er
schreibt „man muß auch hinzufügen,eigentlich handelt es sich
nicht um einen Übergang tradioneller Ethik [...] sondern die
traditionelle Verantwortung für Getanes bleibt natürlich weiterhin
bestehen.“ (In: Böhler 1994, S. 213-223). Siehe auch: ders,
Technikbewertung, S. 70.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Die
Begriffe Technik und Technologie werden häufig im Sprachgebrauch
verwechselt, so auch bei Jonas. Siehe Ropohl,Technologische
Aufklärung, S. 22. Technologie ist eigentlich ein metasprachlicher
Ausdruck, und meint „die Menge wissenschaftlich systematisierter
Aussagen über den Wirklichkeitsbereich der Technik (ebd, S. 23).
Hans Lenks techniksoziologische These lautet, dass „das technische
Zeitalter sich wandelt zum technologischen Zeitalter“. Er meint
damit, dass ihre Dynamik von der Logik der Technik beherrscht wird,
die sich von ihrem eigenen Bereich auf die ganze Gesellschaft
ausweitet, und so eine „Verflechtung von den drei Bereichen
Wissenschaft, Technik, und Soziologie“ bewirkt. (Philosophie im
technologischen Zeitalter, S. 7). Das ist durchaus im Sinne Jonas:
‚Technologie’ bedeutet für ihn, dass die moderne Technik zu
einem „Unternehmen und einem Prozeß“ geworden ist. (TME16).</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote4">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4anc" name="sdfootnote4sym">4</a>Siehe
Horkheimer/Adorno, <i>Dialektik der Aufklärung</i> haben jene
Herrschaft über die Natur klassisch beschrieben. Sie konnten 1947
noch nicht die ökologische Krise erahnen. Bei ihnen ist nicht die
Macht über die Natur die in unaufhaltsamer Eigengesetzlichkeit der
Menschheit gefährdet das Problem, sondern der Rückschlag der
Naturbeherrschung auf die Menschen selbst, und die Selbstaufgabe der
aufklärenden Vernunft. „Die Absurdität des Zustandes, in dem die
Gewalt des Systems über die Menschen mit jedem Schritt wächst, der
sie aus der Gewalt der Natur herausführt, denunziert die Vernunft
der vernünftigen Gesellschaft als obsolet.“ (S. 53).</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote5">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5anc" name="sdfootnote5sym">5</a>Wobei
oft die <i>Idee</i> der Sicherheit wichtiger ist als der
statistische Beleg. Wir werden sehen, dass Ignoranz und
Fehleinschätzungen von Seiten des mündigen Bürgers ein
(pragmatisches) Argument für Jonas abgeben. Die Katastrophe in
Fukushima, Japan im März 2011 hat die Diskussion über die
Sicherheit von Kernkraftwerke wieder entbrannt. Das zeigt deutlich
wie sehr die öffentliche Debatte eine Funktion der Laune ist. Der
unaufhaltsame, kumulative Prozess des technologischen Fortschritts
samt den Risiken die er produziert scheint mit der Konjunktur der
öffentlichen Meinung kaum kompatibel.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote6">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote6anc" name="sdfootnote6sym">6</a>Heidegger
hat die Relevanz der uns umgebenden Dinge für die
Grundbefindlichkeit unseres Daseins erkannt. In ‚Sein und Zeit’
heißt es, dass er die ‚ontologische Struktur’ von ‚Welt’
bestimmen will. (§12); die für uns aufschlußreiche Formulierung
lautet „das unthematische, umsichtige Aufgehen in den für die
Zuhandenheit des Zeugganzen konstitutiven Verweisungen:“ (§16).
Die moderne Technologie hat die Verweisungen des Zeugganzen
revolutioniert. Jedes High-Tech-Gerät erweist sich geradezu als
Chimäre, im Vergleich zu Heideggers Beispiel eines zuhandenen
Zeugs, eines Hammers. Heidegger spricht explizit über die <i>moderne</i>
Technik in ‚Die Technik und die Kehre’ von 1962. Die
Fragwürdigkeit der modernen Technik ist, wenn ich ihn richtig
verstehe, und es mir gestattet ist, seine vielschichtige und
einzigartige Argumentation zur Alltagssprache herabzusetzen, dass
sie unsere Erfahrung von der Natur von Teilhaben in
Zur-Verfügung-haben ändert („Das Wasserkraftwerk ist nicht in
den Rheinstrom gebaut wie die alte Holzbrücke, die seit
Jahrhunderten Ufer mit Ufer verbindet. Vielmehr ist der Strom in das
Kraftwerk verbaut“, S. 15). Da Natur in ihr Wesen verstellt wird,
wird die Wahrheitserfahrung unwahrscheinlicher machen könnte und
damit die Wahrheit selbst („Die Herrschaft des Ge-stells droht mit
der Möglichkeit, daß dem Menschen versagt sein könnte, in ein
ursprünglicheres Entbergen einzukehren und so den Zuspruch einer
anfänglicheren Wahrheit zu erfahren“, S. 28), wenn nicht das
Denken nach Proportion der Technik mitwächst. „Solange wir nicht
denkend erfahren, was ist, können wir nie dem gehören, was sein
wird.“ (S. 46)</span><br />
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><br /></span><br />
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote7anc">7</a>'Sachzwang' ist ein in der Soziologie geläufiger Begriff, und meint die vermeintlich nicht veränderbare Grundlagen einer Entscheidung. Er wurde 1961 eingeführt von Helmut Schelsky in dem Vortrag Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation (In: Ders.: Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf/Köln 1965, S. 439-480).</span></div>
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><br /><a href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote8anc">8</a>Praxis im Sinne von Aristoteles. In der Antike ließen sich praxis und poiesis noch ohne Probleme trennen., in dem Sinne, dass die Regeln für die Praxis deutlich von den technischen Regeln der poiesis abgegrenzt werden konnten. S. Nikomachische Ethik, 1140a: „Das Handeln ist sowenig ein Hervorbringen, als das Hervorbringen ein Handeln. Darum ist auch keines im anderen enthalten“ Kunst begreift Aristoteles als ein mit Vernunft verbundenes hervorbringendes Verhalten. Die Kunst (t???e) hat laut Aristoteles</span><span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"> ihren Urprung im Zufall (t</span><span style="font-family: 'Vusillus Old Face', serif; font-size: x-small;">?</span><span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;">??),
und nicht in der Natur, die „seinen Ursprung in sich selbst hat“
(ebd.). </span><span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;">Die Analyse der Eigendynamik der modernen Technik
hingegen, lässt gerade auf ihr hohes maß an Notwendigkeit
schließen. Die aristotelische Grenze lässt sich daher heute nicht
mehr ohne weiteres ziehen, sondern sie ist zum Problem geworden -
und mit ihr die Ethik, die sich nicht mehr nur auf den
traditionellen Bereich der Praxis beziehen kann. Auch die Folgen der
Handlungen im Hervorbringen und im Hervorgebrachten müssen in der
Ethik reflektiert werden: „Wenn die Sphäre des Herstellens in den
Raum wesentlichen Handelns eingedrungen ist, dann muß Moralität in
die Sphäre des Herstellens eindringen, von der sie sich früher
ferngehalten hat, und sie muß dies in der Form öffentlicher
Politik tun“ (PV, 32).</span></div>
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><br /></span><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote9anc" name="sdfootnote9sym" style="font-size: small;">9</a><span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;">Siehe
PV, 70: „</span><i style="font-size: small;">der Unheilsprophezeiung [ist] mehr Gehör zu geben als
der Heilsprophezeiung</i><span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;">.“ (kursiv im Original), und TME, 67, wo
Jonas die Formel </span><i style="font-size: small;">in dubio pro malo</i><span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"> geprägt hat.</span></div>
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><br /></span><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote10anc" name="sdfootnote10sym" style="font-size: small;">10</a><span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;">Ein
Autor wie Albert Schweitzer hält eine solche Ethik per se für
unbegründbar: „Die Natur kennt keine Ehrfurcht vor dem Leben“
(Die Ehrfurcht vor dem Leben, München 1966, S. 32)</span></div>
</div>
<br />
<div class="zemanta-pixie" style="height: 15px; margin-top: 10px;">
<a class="zemanta-pixie-a" href="http://www.zemanta.com/?px" title="Enhanced by Zemanta"><img alt="Enhanced by Zemanta" class="zemanta-pixie-img" src="http://img.zemanta.com/zemified_e.png?x-id=1efa36e7-42ca-4855-9974-875a74b2de60" style="border: none; float: right;" /></a></div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-938725109894101633.post-81307469286298491022012-07-07T07:28:00.000-07:002012-07-19T22:13:56.204-07:000 EinleitungHans
Jonas ist ein Jahrhundertdenker, dessen Gesamtwerk es verdient, als
kohärentes System verstanden und ausgelegt zu werden. Es ist das
Ziel dieser Untersuchung, aus der Philosophie des Organischen die
Grundlage einer Philosophie
der Verantwortung zu entwickeln als Ergänzung und Präzisierung des
'Prinzip Verantwortung'. Wir wollen die bemerkenswerte Konsistenz des
vielseitigen Jonasschen Gesamtwerk<sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1sym" name="sdfootnote1anc"><sup>1</sup></a></sup>
betonen.<br />
<div align="JUSTIFY" class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Das ethische Werk von Jonas ist in Deutschland seit dem
Erscheinen von PV in 1979 intensiv diskutiert worden</span><sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2sym" name="sdfootnote2anc"><sup>2</sup></a></sup><span style="font-size: small;">.
Seine</span> <span style="font-size: small;">Schriften zu einer Philosophie der Biologie
wurden, abgesehen von einigen Dissertationen</span><sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3sym" name="sdfootnote3anc"><sup>3</sup></a></sup><span style="font-size: small;">,
nicht in diesen Überlegungen miteinbezogen. </span>
</div>
<div align="JUSTIFY" class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Aus der Perspektive der </span><span style="font-size: small;"><i>Diskursethik</i></span>
<span style="font-size: small;">wurde</span> <span style="font-size: small;">die Philosophie von Jonas
ausführlich reflektiert (u. A. von Karl-Otto Apel und Dietrich
Böhler</span><sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4sym" name="sdfootnote4anc"><sup>4</sup></a></sup><span style="font-size: small;">).
Bei genauerem Hinschauen wird aber bald deutlich, dass die
Diskursethik sich nur Jonas’ Absichten anschließen kann, ihm aber
angesichts</span> <span style="font-size: small;">der philosophischen Begründung
widersprechen muss -</span> <span style="font-size: small;">also im Kern seiner
Argumentation. Jonas’ ontologische Erörterungen können von der
Diskursethik nur als solipsistische Spekulationen ohne
philosophisches Gewicht ausgelegt werden, und daher werden sie von
den Diskursethikern auch nicht weiter in Betracht gezogen, während
sie für Jonas geradezu die letzte Möglichkeit </span><span style="font-size: small;">einer</span>
<span style="font-size: small;">Begründung darstellen.</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Andererseits
gibt es Verteidiger von Jonas' Begründungsmodell, die seine
ontologische Ethik teilen</span><sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5sym" name="sdfootnote5anc"><sup>5</sup></a></sup><span style="font-size: small;">.
Jonas wird von ihnen</span> <span style="font-size: small;">werkimmanent gedeutet, und
solche Interpretationen werden seiner philosophischen Intention
durchaus mehr gerecht. Doch wo die Diskursethik Jonas’
Argumentationsweise überhaupt nicht wahrhaben will weil sie ein
eigenes Programm durchzuziehen hat, fehlt es seinen ontologisch
geprägten Verteidigern an Distanz der Betrachtung um Inkonsequenzen</span>
<span style="font-size: small;">auf die Spur zu kommen.</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Ich
halte es darum für fruchtbar, Jonas’ Philosophie und insbesondere
seine Ontologie (die er systematisch aus der Philosophie</span> <span style="font-size: small;">des
Organischen entwickelt) und die daraus folgenden Konsequenzen für
die Ethik zu untersuchen. Eine solche Untersuchung stellt sich die
einfache Frage </span>“<span style="font-size: small;">wie verhalten sich Freiheit und
Verantwortung bei Jonas?” Sind seine Schriften zu der Philosophie
der Biologie kompatibel mit der ontologischen Ethik?</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Daraus
ergibt sich bereits im Wesentlichen die Struktur meiner Arbeit: sie
wird Jonas'</span> <span style="font-size: small;">Philosophie des Organischen
untersuchen,</span> <span style="font-size: small;">seine Methode und
philosophiehistorische Positionierung erörtern, sowie den</span>
<span style="font-size: small;">resultierenden Freiheitsbegriff darstellen. Danach</span>
<span style="font-size: small;">soll seine</span> <span style="font-size: small;">fundamentale Begründung
der Ethik unter die Lupe genommen werden. Lässt sich die dort
entwickelte und angewandte Idee des Menschen mit der Philosophie des
Organischen in Übereinstimmung zu bringen?</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Die
grundsätzliche Neuorientierung, die Hans Jonas für eine Begründung
der Ethik gesucht hat, war sehr kontrovers -</span> <span style="font-size: small;">und
wenige sind Jonas da gefolgt. Ich zeige, dass die Begründungsfigur
von Jonas als ein Zusatz durchaus</span> <span style="font-size: small;">ihren
Wert hat. Jonas meinte eine neuartige Begründung zu brauchen, weil
die herkömmliche Ethik </span><span style="font-size: small;"><i>in praxi</i></span>
<span style="font-size: small;">in Anbetracht des
globalen Umweltproblems</span><sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote6sym" name="sdfootnote6anc"><sup>6</sup></a></sup>
<span style="font-size: small;">bankrott schien; also
verlangte er nach einer radikal anderen Begründung </span><span style="font-size: small;"><i>in
theoreticis</i></span><span style="font-size: small;">.
Diese alternative Begründung ist nicht neu, aber die Prägnanz und
die reale Möglichkeit, dass es zu Extremfällen kommen kann, dass
also die Grenzsituationen die in nahezu jeder theoretischen</span>
<span style="font-size: small;">Begründung auftreten
müssen, heute als reale Möglichkeiten in den Bereich
technologischer Verfügbarkeit rücken </span>– <span style="font-size: small;">das
ist neu.</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Jonas
schätzt tatsächlich die Möglichkeiten moderner Technik als etwas
</span><span style="font-size: small;"><i>wesentlich</i></span> <span style="font-size: small;">Neues
ein und benutzt dafür sogar den Begriff 'Offenbarung':</span></div>
<div class="text-body-indent-western" lang="de-DE">
<span style="font-size: x-small;"><br /></span><br />
<blockquote class="tr_bq">
<span style="font-size: x-small;">Die
jüngste Offenbarung- von keinem Berge Sinai, auch nicht von dem der
Bergpredigt und von keinem heiligen Feigenbaum des Buddha- ist der
Aufschrei der stummen Dinge selbst und bedeutet, dass wir uns
zusammentun müssen, um unsere die Schöpfung überwältigenden
Kräfte in die Schranken zu weisen, damit wir nicht gemeinsam
zugrunde gehen auf dem Ödland, das einst die Schöpfung war.</span><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote7sym" name="sdfootnote7anc"><sup>7</sup></a></blockquote>
<br />
<br /></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Dieses
Motiv seines späteren Denkens werden wir in Teil I betrachten.
Dieser Teil versteht sich als Hinführung zum Thema dieser
Dissertation, dem eigentlichen philosophischen Denken Jonas'. In Teil
II wird Jonas' teleologische Naturphilosophie eingehend besprochen
und eine Interpretation entwickelt, die anschließend</span> <span style="font-size: small;">im
dritten Teil bei der Lektüre des 'Prinzip Verantwortung' behilflich
sein soll.</span><span style="font-size: small;"><br /></span><span style="font-size: small;">Kann
die ontologische Ethik unser Bedürfnis nach Begründung befriedigen,
oder müssen wir letztendlich doch auf die Religion zurückgreifen?
In Teil IV werden Jonas' spätere religiöse Schriften besprochen.
Das Verhältnis von Philosophie und Religion wird besonders deutlich
anhand von Jonas' Bemühungen um einen rational verständlichen
Mythos</span><span style="font-size: small;"><i>.</i></span> <span style="font-size: small;">Solche
Anstrengungen zeichnen einen Philosophen aus, dem es immer um eine
</span><span style="font-size: small;"><i>integrale</i></span> <span style="font-size: small;">Auslegung
der Welt geht, bei Lichte betrachtet also um eine vernünftige
</span><span style="font-size: small;"><i>Selbstdeutung.</i></span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Diese
Selbstdeutung kann als der Leitfaden meiner Jonas-Interpretation
betrachtet werden: Seine frühen Studien zur Gnosis stellen sich der
Herausforderung, das Selbstverständnis in einem radikal
dualistischen Weltbild nachzuvollziehen; Seine Philosophie des
Organischen macht geltend, dass es immer um eine Selbstdeutung als
</span><span style="font-size: small;"><i>lebendiges</i></span> <span style="font-size: small;">Vernunftwesen
geht; Im Prinzip Verantwortung könnte das Argument so paraphrasiert
werden, dass eine vernünftige Selbstdeutung in einer gefährdeten
Welt nur mit der Anerkennung eines absoluten (also im Sein
begründeten) Gebots zu haben ist; Schließlich demonstriert Jonas in
seinen religionsphilosophischen Schriften eindrucksvoll wie er sogar
in seinem 'Mythos' nach Vernünftigkeit strebt.</span></div>
<div class="western" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="font-size: small;">Am
Ende dieser Einleitung sollte die Intention unseres Denkers so
deutlich wie möglich dargestellt werden. Und Jonas selbst ist da
unübertroffen; er hat sich bis zuletzt sehr eindrucksvoll geäußert,
und so seinen Interpreten eines reichen Schatzes beschert</span><sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote8sym" name="sdfootnote8anc"><sup>8</sup></a></sup><span style="font-size: small;">.
</span><span style="font-size: small;">So lauten seine letzten öffentlichen
Worte:</span></div>
<div class="text-body-indent-western" lang="de-DE">
<br />
<blockquote class="tr_bq">
<span style="font-size: x-small;">Die
Pflicht der Verantwortung in einer umfassenden Seinsdeutung so
vernünftig zu begründen, die Unbedingtheit ihres Imperativs so
überzeugend zu machen, wie das Rätsel der Schöpfung es erlaubt.</span><sup><a class="sdfootnoteanc" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote9sym" name="sdfootnote9anc">9</a></sup></blockquote>
<sup><br /></sup></div>
<hr />
<div id="sdfootnote1">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote1anc" name="sdfootnote1sym">1</a>Jonas
Schriften liegen jetzt in einer kritischen Gesamtausgabe vor. Hrsg.
H. Gronke, D. Böhler</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote2anc" name="sdfootnote2sym">2</a>Siehe
Leben, Wissenschaft, Verantwortung, S. 230-232. Das Spektrum umfasst
naturphilosophische Denker wie Robert Spaemann und Reinhard Löw,
Theologen beider Gesinnungen (Katholisch: Karl Lehmann,
Protestantisch: Wolfgang Erich Müller), und Diskurstheoretiker wie
Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas. Für Bibliographien siehe ebd.,
S. 229.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote3">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote3anc" name="sdfootnote3sym">3</a>Bernd
Wille, Ontologie und Ethik bei Jonas; Frank Niggemeier,
Pflicht zur Behutsamkeit?; Sebastian Poliwoda, Versorgung von Sein;
Aus theologischer Sicht; Schieder, Weltabenteuer Gottes.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote4">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm; margin-left: 0cm; text-indent: 0cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote4anc" name="sdfootnote4sym">4</a>Karl-Otto
Apel, Diskurs und Verantwortung; Dietrich Böhler: Orientierung und
Verantwortung.</span><br />
<div style="text-indent: 0px;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><br /></span><br />
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote5anc" name="sdfootnote5sym" style="line-height: 9px; text-indent: -22px;">5</a><span class="Apple-style-span" style="line-height: 9px;">Siehe
z.B. Bernd Wille, Ontologie und Ethik bei Jonas.</span></span></div>
</div>
</div>
<div id="sdfootnote6">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote6anc" name="sdfootnote6sym">6</a>Den
heutigen Analysen steht eine unvergleichbar größere Datenmenge zum
Klimawandel zur verfügung als ihren Vorgänger im Umkreis des <i>Club
of Rome </i>in 1970. Siehe James
Hansen.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote7">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote7anc" name="sdfootnote7sym">7</a>”Rassismus
im Lichte der Menschheitsbedrohung” In: Ethik für die Zukunft, Im
Diskurs mit Hans Jonas, S.25.</span></div>
</div>
<div id="sdfootnote8">
<div class="sdfootnote" style="margin-bottom: 0.5cm;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote8anc" name="sdfootnote8sym">8</a>Siehe:
Gespräch mit Ingo Hermann; Erinnerungen; Das Hans-Jonas Archiv der
Universität Konstanz enthält 308 Mappen von je 150 Seiten.</span><br />
<div style="text-align: -webkit-auto; text-indent: 0px;">
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><br /></span><br />
<span class="Apple-style-span" style="font-size: x-small;"><a class="sdfootnotesym" href="http://hans-jonas.blogspot.com/#sdfootnote9anc" name="sdfootnote9sym" style="line-height: 9px; text-align: -webkit-left; text-indent: -22px;">9</a><span class="Apple-style-span" style="line-height: 9px;">Rückschau
und Vorschau am Ende des Jahrhunderts, S. 40.</span></span></div>
</div>
</div>Kamiel Choihttp://www.blogger.com/profile/14741568672101360445noreply@blogger.com0