Auf jeden Fall muss
expliziert werden, worin genau das (relativ) Neue liegt, das die
Praxis um jenen Bereich ergänzt, wo die alten Prinzipien ihre
Gültigkeit verlieren. Diese Nuance, von relativer Neuartigkeit zu
reden, erlaubt es, die moderne Technik in seiner Genese und
Kontinuität zu denken. Das könnte das Neuartige für
den Menschen noch überzeugender machen, als
wenn wir von einer Neuartigkeit im absoluten Sinne sprechen würden,
die der Kontinuität unserer Erfahrungen widerspräche. Um konkreter
über Neuartigkeit versus Kontinuität reden zu können, müssen wir
unser Vorverständnis von “Technik” klären.
Bevor wir uns mit Jonas’
Phänomenologie der Technik beschäftigen, sei eine formale
Definition der Technik1
vorgestellt. Der Technikphilosoph Günter Ropohl definiert Technik
folgendermaßen:
Technik
umfaßt:
- die Menge der nutzenorientierten, künstlichen, gegenständlichen Gebilde (Artefakte oder Sachsysteme);
- die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Sachsysteme entstehen;
- die Menge menschlicher Handlungen, in denen Sachsysteme verwendet werden.2
- die Menge der nutzenorientierten, künstlichen, gegenständlichen Gebilde (Artefakte oder Sachsysteme);
- die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Sachsysteme entstehen;
- die Menge menschlicher Handlungen, in denen Sachsysteme verwendet werden.2
Bei Technik handelt es
sich also um nutzenorientierte Sachsysteme. Auf den ersten Blick
steht hier eine klare Definition, doch wenn man nach der genauen
Bedeutung von Nutzen fragt, wird klar, dass hier begrifflich noch
vieles offen ist. Natürlich geht es nicht um einen bestimmten, für
immer festgelegten Nutzen, sondern hängen die von ihren Trägern ab.
Diese Definition sagt eben, dass Technik von Menschen entwickelt wird
die einen bestimmten Nutzen erkannt haben, der dann als Orientierung
für die Entwicklung und Einsatz einer Technik dient. Für die
vormoderne Technik (Pfeil, Pflug, Papyrus) ist das unproblematisch,
doch bei der modernen Technik kann es zu begrifflichen Komplikationen
führen. Wir werden sehen, dass bei zunehmender Eigengesetzlichkeit
der Technik das Streben nach Nutzen nicht mehr alles erklärt (dass
nämlich dieses Streben nicht mehr autonom ist). Dies vorweggenommen,
wenden wir uns jetzt Jonas’ Phänomenologie der modernen Technik
zu3.
Jonas unterscheidet
zwischen formaler und materialer4
Merkmale moderner Technik. In formalem Sinne
sieht er Technik als ein „fortlaufendes kollektives Unternehmen“
(TME, 15) mit einer Eigengesetzlichkeit. Jonas betrachtet das
material Neue5
moderner Technik um eine „Taxonomie“ (TME, 16) der formalen
Neuheiten aufzustellen, um festzulegen, ‚woran’ sie sich
vollzieht. Die Neuartigkeit wird somit fast ausschließlich durch den
formalen Aspekt erfasst. Fast
ausschließlich, weil der Sachverhalt, dass der Mensch selbst
zum Objekt moderner Technik werden kann6,
offenkundig eine Neuartigkeit im Material ist.
1Das
Wort „Technik“ umfasst wie auch „Apparat“ mehr als Sachen.
Man denke z.B. an „Mnemotechnik“ oder „Handapparat“.
2
G. Ropohl, Technologische Aufklärung, Frankfurt/Main 1991, S. 18.
3Jonas’
Überlegungen zu einer Phänomenologie der Technik befinden sich in
den ersten beiden Kapiteln von TME, und in PV, 13-58.
4Er
erreicht dadurch eine gute Übersicht. Solange sich die formalen
Entwicklungen an dem Prozess und nicht am Material stattfinden,
lässt sich Technologie hiermit analysieren. Eine Schwierigkeit
könnte die Informationstechnologie sein (die allerdings noch nicht
so weit entwickelt war, als Jonas seine Analyse schrieb), wo das
‚Material’, die Information, die formalen Entwicklungen direkt
beeinflusst.
5Bei
Jonas gleichbedeutend mit „substantiell“ (TME,15), oder
„sachlich“ (TME, 30). Wir werden öfter Synonyme und Homonyme
antreffen; Jonas wird oft terminologische Laxheit vorgeworfen, was
zum Teil an seinem jahrzehntelangen Leben in der Emigration liegen
könnte. Auf jeden Fall lässt sich der Geist seiner Philosophie
nicht unbedingt an ihrem Buchstaben ablesen, und bedarf es einer
willigen Interpretationsarbeit, die m.E. nicht so sehr seine
Ergebnisse deuten muss, sondern vor allem sein Problembewusstsein.
6Jonas’
Auseinandersetzung mit der Biotechnologie bespreche ich in 1.1.2.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen